Der Endeavour Nachbau
Die Geschichte einer Idee und die Eindrücke eines „unvoreingenommenen“ Besuchers
Zuerst veröffentlicht in: DAS LOGBUCH 1995/2, Arbeitskreis historischer Schiffbau e.V., Köln. |
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Am 9. Dezember 1993 um 17.30 Uhr war es endlich soweit. Nach mehr als 5 Jahren Bauzeit und nahezu 230 Jahre nach dem Stapellauf des Colliers EARL OF PEMBROKE, der als His Majesty’s Bark ENDEAVOUR in die Geschichte einging, glitt in Fremantle der Nachbau dieses weltberühmten Schiffes von der Helling und tauchte erstmals in sein Element ein. Wenige Monate später war das Schiff bemastet, getakelt und trat die für die Trimmung des Schiffes und der Besatzung notwendigen Probefahrten an. Nach einem Besuch in verschiedenen australischen Häfen und einem fünf Monate Aufenthalt in Sydney wird sie dann im Mai 1996 in England erwartet. Eine Ausstellung im National Maritime Museum in Greenwich ist für die Zeit geplant und am 26. August 1996, genau zweihundertachtundzwanzig Jahre nach dem originalen Aufbruch will man in England die Anker wieder lichten um James Cook’s berühmte Entdeckungsreise nachzuempfinden.
Wie kam es zu diesem Nachbau in Fremantle, dem Hafen von Perth, im äußersten Westen Australiens? Ein Ort der wohl in internationalen Jachtkreisen durch die Austragung von America’s Cup Rennen einen Namen erwarb, aber in keiner direkten historischen Beziehung zu dem Schiff stand. Einige gute Jachten hatten dort zwar ihren Ursprung und es war der einzige Ort außerhalb der U.S.A. der den America’s Cup für ein paar Jahre in seinen Mauern beherbergte. aber ein historisches Segelschiff?
Doch war es dieser Jachtfanatismus der achtziger Jahre, der das Schiff letzten Endes in der wohl isoliertesten Großstadt der Welt entstehen ließ. Die Idee, die berühmte ENDEAVOUR zur Zweihundertjahrfeier der Entdeckung Australiens wieder erstehen zu lassen und dann auf den Spuren James Cook’s nach Australien zu segeln, wurde bereits in den sechziger Jahren von etlichen Idealisten propagiert und 1986 von Bruce Stannard. einem bekannten australischen Journalisten und Jacht-Kommentator des Fernsehens wieder aufgegriffen. Als Mitglied des Interim Councils des 1985 durch einen Akt des Australischen Parlaments ins Leben gerufenen Australian National Maritime Museum trug er diese vor und man entschied sich, die Idee weiter zu verfolgen.
Bald nach dem Erscheinen des vom Verfasser geschriebenen kritischen Artikels über die Whitby Bark „Do we really know the ENDEAVOUR?“ im Journal der Australian Assossiation for Maritime History THE GREAT CIRCLE im April 1986 trat Bruce Stannard an ihn heran um mittels der von ihm entwickelten ENDEAVOUR Pläne Kostenberechnungen einzuholen, mit welchen er danach das wohldurchdachte Konzept der Regierung gegenüber besser vortragen konnte. Idealistisch wie es war, man hoffte doch auf eine positive Reaktion der Regierung. Die Zweihundertjahrfeier der europäischen Besiedelung Australiens stand vor der Tür und die Bundesregierung suchte nach und finanzierte eine Reihe von damit zusammenhängenden Projekten. Warum sollte cs da nicht möglich sein, mit öffentlichen Mitteln Spenden aus dem Volke anzuregen um etwas Einmaliges zu schaffen. Man wollte nicht nur das für Australiens Geschichte wichtigste Schiff neu erstehen lassen, sondern es auch zu einem Geschenk des Volkes an sich selbst machen. Ein Bauplatz in der Nähe der Sydney-Hafen-Brücke war vorgesehen um ein Maximum an Besuchern an dem Werdegang des Schiffes teilnehmen zu lassen. Danach sollte dann die ENDEAVOUR als Museumsschiff in Darling Harbour, dem Hafen des 1991 eröffneten Australischen Nationalen Maritimen Museums, ihren festen Liegeplatz finden und so zu einem weiteren Wahrzeichen Sydneys und zum Stolz des ganzen Volkes werden. Ein wunderbarer Traum, der aber bereits im Frühjahr 1987 ausgeträumt war. Landesväter scheinen nur Visionen, die Wählerstimmen anlocken, zu ihren eigenen zu machen und wie das Projekt der sechziger Jahre, geriet auch dieses am Anfang des gleichen Weges in die Vergessenheit.
Ermunternde Schreiben an Bruce Stannard, die Idee nicht fallen zu lassen und unter den Entrepreneuren des Landes einen oder mehrere Sponsoren für den Bau des Schiffes zu suchen, wird es wohl einige gegeben haben. Ein Schiff zu schaffen, auf das ein Wirtschaftsmagnat ideelle Ansprüche erhebt, war zwar nicht das gewünschte ursprüngliche Auskommen, aber es war immer noch besser, als die Idee untergehen zu lassen. Die Anstrengungen Bruce Stannards trugen Frucht und gegen Mitte des Jahres teilte er dem Verfasser mit, daß Alan Bond, Chairman der Bond Corporation und Gewinner des 1983 America’s Cups, an dem Projekt sehr interessiert wäre und es durchführen wolle.
Zwar war damit der Traum des vom Volke getragenen Projekts vorbei, das Projekt selbst in gewisser Hinsicht jedoch gerettet. Gerettet war aber nicht der Bauplatz in Sydney, denn das Bond Corp. Hauptquartier lag in Perth und Alan Bond wollte das Schiff in seiner Heimatstadt wachsen sehen. Genau so wenig war man an der Verwertung der in Australien geleisteten Forschungsarbeit an der ENDEAVOUR interessiert und das Projekt wurde nun als The ENDEAVOUR Replica. ein Geschenk der Bond Corporation an die Nation, bekannt.
Das Projekt wird sehr viel Aufsehen erregen und man könne sich in der Auslegung des Schiffes keine Kontroverse erlauben, schrieb, die Vorarbeit ablehnend, 1987 John Longley. der wenige Monate vorher mit der Leitung des Projekts beauftragte Admiral der Bondschen Jachtflotte. Ein Mann, der als guter Manager das Projekt über die vielen unvorhergesehenen Klippen der Bauzeit hinweg manöverierte und dem es letzten Endes zu danken ist, daß dieses Schiff nicht schon auf der Helling starb. Der aber, wie er in einem Magazininterview gestand, nach der Übernahme der Position als totaler Neuling auf dem maritim-historischen Gebiet sein erstes Buch über James Cook las und sich so mit den Grundlagen der ENDEAVOUR Geschichte vertraut machen mußte.
Als Novize, der sich keine Kontroverse erlauben wollte. besuchte er die heiligen Hallen historischen Schiffbaus, die Zeichnungsräume des National Maritime Museums in Greenwich und engagierte David White, den in den Ruhestand tretenden Kurator dieser Abteilung, um die notwendigen historisch gerechten Zeichnungen anzufertigen. Australische Expertise ablehnend flog er, auf Nummer Sicher gehend, halb um die Welt, um einen englischen Experten zu finden, der ein Schiff voller Kontroversen schuf. Die vom Verfasser vorgenommene Forschung an dem Schiff, die in etlichen Punkten von dem Fremantle Ergebnis abweicht, ist in den Jahren 1992/94 zu einem Buch verarbeitet worden welches in diesem Jahre unter dem Titel CAPTAIN COOK s ENDEAVOUR in der Serie ANATOMY OF THE SHIP in englischer und bei „dk-maritim“ in deutscher Sprache erscheint.
Vom ersten Tage des Projekts an hatte man andere Ideen für das Schiff. Die Schaffung eines schwimmenden Monuments für James Cook, den ihn begleitenden Wissenschaftlern und der Besatzung, mit all den authentischen inneren Ausbauten in denen Besucher die Enge und Kargheit dieses frühen Forschungsschiffes so richtig miterleben konnten, war nicht mehr gefragt. Das Erlebnis, in das Zwischendeck vorzudringen. über die Kabel zu steigen und gedanklich in der Zeit zu leben, in der Mensch und Tier dieses als gemeinsame Behausung ansehen mußten, fand nicht mehr im vollen Umfange statt. Man wollte kein Schaustück, sondern ein Schiff, das segelt, also ein modernes Schulschiff im alten Gewande. Ein solches Schiff mußte unter den Regeln moderner Sicherheit, also mit Maschinenantrieb usw. designed werden und den Bestimmungen der Seeversicherer entsprechen. Es sollte aber trotzdem seine Integrität als historisch gerechter Nachbau nicht aufgeben. Zwei Seiten einer Medaille, die nie hundertprozentig aufeinander abgestimmt werden können.
Der langgeplante 200. Jahrestag der Ankunft der Ersten Flotte in Port Jackson (Hafen von Sydney) wurde am 26. Januar 1988 zur Wirklichkeit und im Rahmen der Feierlichkeiten standen Alan Bond und der Primeminister Australiens vor den Fernsehkameras auf einer Tribüne, Alan Bond sein 12 Millionen Dollar Geschenk an die Nation verkündend und der Primeminister (!) diese Vision eines großen Mannes huldigend.
Der Kiel des Schiffes wurde im Oktober 1988 gelegt und ein Jahr später lief die Bond Corporation auf Grund. Sie wurde zu einem der ersten Opfer der durch den Börsensturz von 1987 ausgelösten Wirtschaftsrezession. Die von Longley unternommenen Versuche, das Projekt mit der Hilfe anderer corporativer Sponsoren weiterzuführen, schlugen völlig fehl, denn keiner wollte in dieser Zeit des Wirtschaftsrückganges Geld in den Bau eines historischen Schiffes stecken. Erst als er die technischen Neuerungen der Bond’schen Jachtentwicklungen in Japan verkaufen wollte, ließ die japanische Firma Yoshiya erkennen, daß man diese gerne zum America’s Cup 1992 als wirksames Werbemittel fertiggestellt gesehen hätte.
Die Arbeit wurde mit japanischem Gelde erneut aufgenommen. jedoch die lrak/Kuwait Ereignisse unterbrachen sie bald wieder. Diese, sich in vielen Wirtschaften der Welt auswirkende Krise, brachte den neuen Sponsoren Yoshiya in die Knie. Man mußte alle am Projekt Beschäftigten entlassen und die Tore schließen. Die von Alan Bond dem Staat „geschenkte“ ENDEAVOUR wurde nun plötzlich Teil seiner Konkursmasse.
Um zu retten was gerettet werden kann, argumentierte der Projeklmanager: Die Bundesregierung, die durch ihr Nationales Maritimes Museum die Sache zuerst an die Bond Corporation herangetragen hätte, wäre nun verpflichtet, das Schiff fertigzustellen. Was für eine Wendung in der ereignisreichen Geschichte des Schiffes. Der Regierung, die Anfangs völlig desinteressiert war und das Projekt von sich wies, wurden nun durch die Media die moralischen Daumenschrauben angelegt und sprang für ein Schiff ein, was in keiner Weise mehr den ursprünglichen Idealen des Museums entsprach. Auch Bruce Stannard wurde wieder angesprochen und er interessierte Arthur Weller, den Mann hinter dem Segelschulschiff NEW ENDEAVOUR, Englands Geschenk an Australien zum 200. Geburtstag. Nachdem sich dann auch nach längerem Hin und Her der Konkursverwalter der Bond Corporation bereit erklärte, das Geschenk der Bond Corporation an die Nation wieder in ein solches zu verwandeln, wurde am 26. August 1991 die ENDEAVOUR Replica Foundation gegründet.
Es ging wieder vorwärts, aber wie mit all solchen Projekten, Zeit und Kosten waren nichts mehr als Schätzungswerte. Beiträge der Regierung hingen aber von der Fertigstellung jedweiliger Bauabschnitte innerhalb dieser Kriterien ab. Engpässe blieben dabei nicht aus und zusätzliche Gelder mußten gefunden werden. Wieder war es Bruce Stannard der sich dafür tatkräftig einsetzte.
Der britische Philanthrop Gary Weston erwärmte sich für das Projekt und spendete 1.2 Millionen Dollar, der Sydney Geschäftsmann John Singleton schrieb einen Scheck von $1 Million, die Australian Defence Industries gossen die Geschütze, Pasminco Industries sorgte für den Bleiballast, die Commonwealth Bank gab dem Projekt einen Million Dollar Kredit und viele unbekannte Besucher gaben ihren Obolus. um das Schiff fertigzustellen.
So gelang es nach mehr als fünf Jahren Bauzeit endlich die ENDEAVOUR vom Stapel laufen zu lassen. Ein Schiff, das mit viel gutem Willen aber unter verkehrten Voraussetzungen und an einem verkehrten Ort gebaut wurde. John Longley, seinen Mitarbeitern und den Sponsoren muß man für die außergewöhnliche Leistung wirklich gratulieren und danken. Für den durchschnittlichen Westaustralier ist der Neubau aber ein Schiff, das wohl selten wieder dorthin zurückkehrt und der weitaus größere Teil der Bevölkerung, im Osten des Kontinents wohnend, wird sich, genau wie John Longley zum Beginn des Projekts, erst einmal mit Australiens Geschichte auseinandersetzen müssen, um zu lernen, daß der Name ENDEAVOUR nicht erst durch Nasa’s Space Shuttle berühmt wurde. Die große pädagogische Idee, die am Anfang hinter dem geplanten Bau stand, wurde durch kurzsichtige Politiker und durch Lokalpatriotismus verspielt. Der Unterhalt eines fahrenden Schiffes, der weitaus größer als der eines stationären ist, muß jetzt zum Nachteil ungezählter Besucher Sydneys durch Kreuzfahrten eingebracht werden.
Ein zweiter Nachbau des Schiffes wird gegenwärtig in England vorgenommen. Das Castlegate Quay Projekt in Stockton-on-Tees, einer Drehscheibe des nordöstlichen englischen Kohlenbezirks und Ausgangspunkt vieler Collier, wird als eine der Hauptattraktionen die ENDEAVOUR aufweisen. Ein aus Stahl gebautes Schiff, das als Konferenz- und Ausbildungszentrum dienen und an den berühmtesten Sohn der Gegend erinnern soll. Dieser Nachbau erhebt keinen Anspruch auf historische Treue.
Wie steht es nun um die kontroversfreie historische Genauigkeit des Fremantle Nachbaus? Während des Schiffes Aufenthalt in Melbourne Anfang Dezember 1994 bestätigten ein paar Besuche an Bord meinen bereits durch Photos gewonnenen, nicht völlig bejahenden Eindruck. Die kritischen Augen des durch jahrelange intensive Arbeit mit der Materie geschulten Beobachters konnten nichts Negatives in der technischen Aufarbeitung der vielen kleinen und großen Probleme entdecken. Sie wurden alle glänzend von den historisch nicht vorbelasteten Mitarbeitern des Projekts gelöst. Jedoch, und hier möchte ich eine Stelle aus dem offiziellen Bilderbüchlein ENDEAVOUR zitieren: The primary concern in constructing the replica of ENDEAVOUR and to standards certified by the National Maritime Museum, Greenwich., der Bonus der „kontroversfreien historischen Genauigkeit“ lag bei den beratenden schiffbau-historischen Experten, und leider muß gesagt werden, sie wurden „gewogen und als zu leicht befunden“.
Zuerst fällt der weiße Anstrich des Unterwasserschiffes ins Auge. Zu häufig von Modellbauern angewandt, gab es diesen an dem Originalschiff nicht. Sowohl James Cook, als auch Robert Molineux (Master des Schiffes) sprachen von einem Anstrich des Unterwasserschiffes mit Pech und Schwefel (Pitch and Brimstone) einer Masse, in der englischen Schiffahrt als Brown Stuff bekannt, die zur Zeit Cook’s sehr häufig noch aus Sparsamkeitsgründen in der Royal Navy verwandt wurde. Ein nie in den Tagebüchern erwähnter, teurer weißer Anstrich (White Stuff) bestand aus Walöl, Kolophonium und Schwefel. Das an der Replik benutzte Blau und Rot mögen wohl bevorzugte Farben der Periode gewesen sein, können aber für die ENDEAVOUR nicht nachgewiesen werden. Master Molineux sprach nur davon, die Bordwände, die Aufbauten. Masten und Rahen mit Varnish of Pine, einem klaren Harzfirnis, gestrichen zu haben.
Die Proportionierung des Spiegels stimmt weder mit den originalen Zeichnungen, noch mit den Skizzen von Sydney Parkinson überein und ist zwischen der Oberkante der Gillung und dem Hackbord um 25 Prozent zu hoch. Das sorgfältige in Betracht ziehen beider authentischer Unterlagen hätte diesen Fehler vermeiden können. Von dem gleichen Material ausgehend muß gesagt werden, daß die halbrunden Fenster in rechteckige Rahmen gesetzt waren, um die Blinden genau wie Geschütz- oder Lüftungspforten dicht und sicher anbringen und schließen zu können. Das wird in Sydney Parkinsons (Künstler an Bord der ENDEAVOUR) Skizzen und auch auf Bildern anderer Schiffe deutlich. Eine Anbringung auf der Außenseite des Spiegels, wie es bei der Replik geschah, ist weder authentisch noch seegerecht und kann zum Verlust dieser führen. Dies geschah, weil man der oben gegebenen Weisung, die halbrunden Fenster in rechteckige Rahmen zu setzen, nicht folgte. Neben den vom Verfasser seit 1983 propagierten und damals vom NNM abgelehnten Blinden, wurden auch die vier Spiegelfenster mit dem nur angedeuteten fünften Mittelfenster, das mit einem in der Kajüte errichteten Ruderkoker einherging, beim Bau akzeptiert. Eine Anordnung, sich auf allen Schiffen ergebend, wo das Hennegatt des Ruders bis aufs Achterdeck führte. Über dem Hennegatt der Replik ist ein kleines Ruderhaus angebracht. Eine historische Alternative zu einer Brook, die ebenfalls vom Verfasser in seinem 1990 im NAUTICAL RESEARCH JOURNAL publizierten Artikel vorgeschlagen wurde. Leider muß gesagt werden, daß die Pinne, gegenüber der Zeichnung, ein wenig zu hoch angesetzt wurde und dadurch das Haus etwas zu groß ausfiel.
Jedem an Bord Kommenden wird das Fehlen der Kajüten-Niedergangskappe und das versenkbare, mit einer Gräting abzudeckende Oberlicht auffallen. Der Kajütenniedergang ist aus dem gleichen Grund von einer wegnehmbaren Reling umgeben. Der Grund: das freie Törnen des Gangspills. Historische Genauigkeit fiel hier der bequemeren Arbeitsweise moderner Seeleute zum Opfer. Man gab dem Schiff auch anstelle des Nachthauses mit zwei Kompassen zwei einzelne Nachthäuser, etwas, was es um 1768 noch nicht gab.
Die nach oben gebogenen Galgen der Reservehölzer entsprechen nicht den originalen Plänen. Diese waren mit gerader Oberfläche gezeichnet wie man es gewöhnlich auf englischen Schiffen antraf. Genau so, wie man für den Kajütenzugang eine Kappe benötigte um diesen bei Wind und Wetter benutzen zu können, so brauchte man eine solche über der Vorluke, dem Zugang zum Schiff für 85 der an Bord befindlichen Offiziere und Mannschaften. Aus zeitgenössischen Plänen, die über das grundsätzlich schiffbautechnische selten hinausgingen, sind solche Kappen zwar nicht erkennbar, sie sind aber in englischer zeitgenössischer nautischer Literatur als Companion capping und Hood eindeutig beschrieben, auf der Replik aber nicht anzutreffen. Außerdem deckte man die Großluke der Replik nicht mit Luken, sondern nur mit einer Gräting zu, die mit einer Persenning geschlossen wird. Früher oder später wird sich dies auf See als grobe Fahrlässigkeit erweisen.
Zwei der vier an Deck gezeigten Kanonen befinden sich nicht in ihrer normalen Aufstellung. Die Halbdeckaufstellung, wie sie jetzt zu sehen ist, gab es nur während des Aufenthaltes in Tahiti und während der Reparatur an der Nordaustralischen Küste.
Das hinter dem Vordeck stehende Bratspill, nicht mehr für Muskelantrieb gebaut, zeigt, wie all die Modelle ENDEAVOURS vorher, zwei Pallenbetings, die mit einem geschwungenen Dach darüber den Glockengalgen bilden. Abweichend davon deuten die Originalzeichnungen ein einzelnes Pallenbeting mit Dach an, nur einen Schluß zulassend. Zwei zum oberen Ende dieses Pfostens gebolzte, etwas ausschwingende, überdachte Hölzer formten den Glockengalgen. Eine zwar seltenere, jedoch auf englischen Schiffen nachweisbare Art der Glockenanbringung. Sie wurde leider wieder einmal ignoriert, dafür hat man aber mit den geschnitzten Seemannsköpfen oberhalb der Bratspillbetings dem Historiker dieses Nachbaus, David White, ein Denkmal gesetzt. Am Bratspill fehlen außerdem die Pallengatts, die Wellenausfütterungen, die Boog und das Knie vor der Pallenbeting.
Die etwas anachronistische Abdeckung der Niedergänge mit verriegelbaren Stahlluken ist einer der modernen Kompromisse, denen sich auch ein historischer Schiffsnachbau unterwerfen muß. wenn er ein Seefähigkeitsattest erhalten will. Andere sind die Aufstellung von Rettungsflößen an Oberdeck, die Umfunktionierung der Schiffspumpen zu Lüftungsschächten und das Anbringen von Positionslampen in den Fockwanten. Auch sind die vier Boote der ENDEAVOUR auf ihrem Nachbau gegenwärtig noch nicht vorhanden.
Beim Gang ins Zwischendeck spürt man die Atmosphäre dieses Schiffes noch etwas. Es ist so ausgelegt, wie aus den Plänen ersichtlich, man findet die Kombüse, die zwar nicht wie die der ENDEAVOUR aus Kupfer, sondern aus Eisen ist und man lernt die Enge der Kabinen der Offiziere kennen. Die fehlenden Ankerkabel und Reserveanker usw. sind durch aufgestellte Backen und Banken und Hängematten im höheren Teil dieses Decks ersetzt, die aber mehr für das Wohlbefinden der kurzfristigen Seeleute des Schiffes gedacht sind, als für die Belehrung des vorübergehenden Besuchers.
Trotz all der gefundenen Fehler, die wirklich nicht hätten sein müssen, ist das Schiff für den normalen Besucher ein außerordentliches Erlebnis. Aber da dieser Bericht nicht den normalen, unbefangenen Besucher anspricht, sondern den detailbeflissenen, der eventuell selber eine Miniatur der ENDEAVOUR erstellen will, muß die kritische Auseinandersetzung zwischen dem was ist und was hätte sein können, fortgesetzt werden, um dem fachkundigen Leser vor Augen zu fuhren, daß auch ein Nachbau in voller Größe nur das Produkt eines oder einer Gruppe von Menschen ist und genau wie ein Modell im kleineren Maßstab von den historischen Kenntnissen des Einzelnen oder der Gruppe abhängt. In diesem Zusammenhange muß auch angeführt werden, daß dieser Bericht nicht vollkommen sein kann, da die Besuche an Bord mit hunderten von anderen „Sehleuten“ geteilt wurden und ein intensives Studium des Schiffes im Menschengedrängel gewisse Schwierigkeiten mit sich brachte. Einer am Ende der Liegezeit erfolgten telephonischen Einladung des Kapitäns Chris Blake an den Verfasser, ihn durch das Schiff zu fuhren und über die sichtbaren historischen Unstimmigkeiten zu diskutieren, konnte aus zeitlichen Gründen bedauerlicherweise nicht mehr Folge geleistet werden.
Waren es bis jetzt nur die offensichtlichen Unrichtigkeiten des Rumpfes, die betrachtet wurden, so sind auch Rundhölzer und Takelung nicht ohne Fehl. Zuerst einmal die Rundhölzer.
1.) Die aus den Originalzeichnungen offensichtliche Krümmung des inneren Bugspriets ist auf dem Schiff nicht erkennbar. Das Resultat ist ein wahrscheinlich etwas steileres Bugspriet.
2.) Die Länge des Besanmastes folgte der konservativen Deutung der vorhandenen Angaben, die seit H. A. Underhills ersten Takelungszeichnungen nie angezweifelt wurden. Die 1771 auf der Marinewerft in Woolwich vorgenommene Abmessung wurde als 16 Yard 29 Zoll auf der einen Zeichnung eingetragen.
3.) Die achtkantigen Sektionen der unteren und Marsrahen waren auf dem Schiff mit Schamfiellatten versehen. Dies findet man erst im letzten Viertel des Jahrhunderts und noch nicht an einem Schiff von 1768.
4.) Die Kreuzrah des Schiffes ist völlig rund, während die runde Form bereits um 1750 im englischen Schiffbau verschwand und im inneren Viertel durch eine sechzehneckige ersetzt wurde.
5.) Wie auch bei allen konservativen Modellen, so führt auch die Replik keine Butluvs, obwohl solche auf der Skizze von Sydney Parkinson erkennbar sind und durch die Art der Besegelung notwendig waren. Man setzte dafür einen Fockhals Block auf die äußeren Enden der Kranbalken, was verkehrt ist.
Die Takelung:
6.) Flämische Pferde wurden nicht an Blinderahen gefahren.
7.) Es war auf dem Schiff kein Besanstagsegelstag zu finden.
8.) An keinem der Marse sind die zum Stage führenden Hahnepooten zu finden.
9.) Sowohl die Masttakelschenkel, als auch die Brustbackstage fehlen.
10.) Die Anzahl der Wanten und Pardunen war auf einem Schiff von 350 – 400 tons 6/2 und nicht 7/1 wie es vielfach bei Modellen und auch bei der Replik angeordnet wurde. Es waren für diese und größere Schiffe immer zwei Marspardunenpaare, was auch Cook bestätigte.
11.) Bei den eingebundenen Juffern konnte ich keine Augenbändselung feststellen und die übriggebliebene Länge der Hoofdtaue ist unverständlicherweise von der Endbändselung wieder zu den Juffern zurückgeleitet und mit dem jeweiligen Taljereep verzurrt worden.
12.) Die Bramrahen des Schiffes, wie in der Barktakelung der Zeit üblich, wurden fliegend gefahren und nicht voll getakelt wie auf der Replik. Außerdem hatten Schiffe dieser Größenordnung einzelne Brassen und nicht die erkennbaren doppelten.
13.) Der Großbrassen-Leitblock wurde nicht am hintersten Drehbassenstock gelascht, sondern saß in einem mit einem Spantkopf verankerten Ringbolzen auf dem hintersten Ende des Schanzkleides.
14.) Entsprechend den Regeln sollte die Fock in ihrer Tiefe gerade über dem Großstag enden. Die Fock der Replik hat nur 2/3 dieser Tiefe.
15.) Bis 1790 standen die Seitenlieken einer englischen Marine-Fock senkrecht. Erst danach wurden sie um eine Kleidbreite nach unten zu gegillt. Die Fock der Replik ist gegilllt. Durch die Verkürzung und Gillung wurde es möglich, den Hals über den Kranbalken-Halsblock zu leiten. Eine normal geformte Fock wäre ohne Butluv nicht ausgekommen.
16.) Britische Marinefahrzeuge mit 36 Kanonen und weniger hatten zwei Reffbänder in ihrem Großsegel und der Fock, nicht nur eines.
17.) Die Blindeschot lief nicht über die vordere eingebaute Scheibe binnenbords (diese war für den Großhals), sondern über die untere vor dem Achterdeck (die obere war für die Fockschot).
Soweit dieser kleine Abstecher in die historische Genauigkeit von Nachbauten. Sicherlich hätte eine gründlichere Untersuchung noch mehr an den Tag gebracht. Dies ist ein Feld, bei dem man seefahrttechnische Erfordernisse mit dem geschichtlich beweisbaren vereinen muß. Außerdem ein Feld, bei dem man, wenn möglich, nicht nur die Zeichnungen, sondern auch Log- und Tagebücher studieren sollte um unnötigen Kritiken die Spitze zu nehmen. Die drei Zeichnungen der ENDEAVOUR zeigen, wie der Verfasser dieses Schiff nach intensiven Studium sieht. Wer sich näher mit all dem Für und Wider bisheriger ENDEAVOUR Representation vertraut machen und z. B. erfahren möchte, warum der Takelriss nicht den sonst üblichen zu kurzen Besanmast aufweist, warum Bumpkins notwendig waren, warum die Boote nicht ineinander gestellt wurden usw., dem seien der Text und die vielen detailierten Zeichnungen des eingangs erwähnten Buches empfohlen, welches demnächst beim dk-Verlag maritim in deutscher Sprache erscheint.