Schonerentwicklung

Das erste Jahrhundert der Schonerentwicklung und deren Auswirkung auf den Schiffbau des Ostseeraumes

Zuerst veröffentlicht in:
DAS LOGBUCH 1995/1,
Arbeitskreis historischer Schiffbau e.V., Köln.
Download PDF
Download EPUB
PDF/HTML/EPUB-Umsetzung: Bodo van Laak

Das sich immer wieder durch Artikel im LOGBUCH demonstrierende Interesse am Schoner läßt in der gleichen Weise die noch weit verbreitete Unkenntnis über die Herkunft dieses Takelungstyps erkennen. Bewußt von einem Takelungs- und nicht von einem Schiffstyp sprechend, mußte mir eine so generelle Einleitung wie Der Schoner ist das „Bindeglied“ zwischen der Großschiffahrt und der Kleinschiffahrt in einem der 1994 erschienenen Artikel als ein wenig weithergeholt erscheinen. Schonergrößen reichten von ungefähr 10 tons bis zu den 5000 tons des amerikanischen Siebenmast-Schoners THOMAS W. LAWSON. Wer kann da noch von einem Bindeglied zwischen klein und groß sprechen? Schoner gab es in jeder Segelschiffsgröße, von zwei bis zu sieben Masten und in Rumpfformen, die vom flachbodigen Pramtyp bis zur V-förmigen Hochseejacht reichten. Das einzige Kriterium für einen Schoner war die Takelung, die zuerst als hoch am Winde segelnd und sehr bald nach ihrer Einführung als besatzungs- also kostensparend erkannt wurde. Der nachfolgende Bericht will versuchen, in einem kurzgefaßten Überblick die Anfänge des Schoners herauszustellen und dadurch die oft so vage Vorgeschichte der Schonerentwicklung in Deutschland verständlicher werden zu lassen.

Ohne Kritik an die für die deutsche Schiffbauforschung grundlegende Arbeit Hans Szymanskis, eines langjährigen Freundes meines Vaters, üben zu wollen; die von ihm, wie von anderen Zeitgenossen (Otto Höver usw.) vorgenommene nebulöse Deutung des Schonerursprungs unterlag doch sehr dem lautstark propagierten amerikanischen Wunschdenken, daß eine etwas tatkräftigere Forschung von der europäischen Seite her im Keime erstickte. Leider schmuggelt sich dieses Denken auch heute noch in so viele ansonsten auf gute Forschungsgrundlagen basierende Berichte. So häufig gedruckt und abgedruckt, es muß einfach jeden überrumpeln, der sich nicht intensiv mit der Materie befaßt. Der Schreiber war davon nicht ausgeschlossen bevor er seine Nachforschungen für SCHONER IN NORD UND SÜD und FORE AND AFT RIGGED WARSHIP in THE LINE OF BATTLE anstellte und diese auch nach dem Druck weiterführte. Aber trotz all des Wunschdenkens von einer amerikanisch inspirierten Takelung, der Schoner ist nicht ihre Erfindung. Wieder einmal bewahrheitete sich, was der bekannte amerikanische Schiffbauhistoriker Howard I. Chapelle in dem Vorwort eines seiner Bücher hervorhob: „Popular beliefs concerning the development, and influences thereon, of the American sailing ships are too often mere fables when the facts are learned.

Das Wort Erfindung im Zusammenhang mit Takelungen zu nennen, mag für viele wie ein Unding klingen, denn solche entwickelten sich ungewöhnlich über eine lange Zeit von mitunter primitiven Anfängen. Im Falle des Schoners war es jedoch eine Erfindung, von der wir nun nicht nur den Erfinder, sondern auch das Datum und das erste so getakelte Schiff kennen. W. F. Ryan veröffentlichte 1983 einen Artikel über PETER THE GREAT’S ENGLISH YACHT im Mariner’s Mirror 69/1, in dem er auf gewisse Dokumente verwies die, wenn in die Chronologie unserer Kenntnisse eingefügt, diese Jacht HMS ROYAL TRANSPORT einwandfrei als das erste schonergetakelte Schiff ausweisen. Doch davon etwas später.

Abb. 1: Modell der HMS ROYAL TRANSPORT von 1695. Es wurde von Peter dem Großen nach Rußland gebracht und befindet sich im Zentralen Marine Museum, St. Petersburg. Foto mit freundlicher Genehmigung des Zentralen Marine Museums, St. Petersburg.

Abb. 1: Modell der HMS ROYAL TRANSPORT von 1695. Es wurde von Peter dem Großen nach Rußland gebracht und befindet sich im Zentralen Marine Museum, St. Petersburg. Foto mit freundlicher Genehmigung des Zentralen Marine Museums, St. Petersburg.

Ihren ideellen Ursprung hat die Schonertakelung in der holländischen Speeljacht, einem Vergnügungsboot mit einer zweimastigen sehr einfachen Schraatsegeltakelung an umlegbaren Masten, jedoch ohne Stage und Wanten. Das erste bekannte Bild eines solchen Fahrzeuges ist ein 1601 gefertigtes Aquarell von C. C. van Wieringen DE OVERTOOMSE WEG AN VAART (A. W. Sleeswyk, THE ORIGIN AND DEVELOPMENT OF THE TRIANGULAR SAIL. AND THE GAFF IN SEVENTEEN CENTURY HOLLAND M.M. 73/4). Im Verlauf des 17. Jahrhunderts gab es viele Darstellungen von Speeljachten in Holland und ähnliche Fahrzeuge (Shallops) in England. Jedoch nur von diesen, nicht von Schonern. Die von A. Laing 1961 in AMERICAN SAIL vertretene These, daß es während des 17. Jahrhunderts bereits drei Schonerdarstellungen (v. Bremden 1629. Blaeu’s Atlas von 1648 und v. d. Hems Geheimen Atlas von 1678) gab, sind in meinem o.a. Buch als Fabel erkannt worden.

Abb. 2: Eine holländische Segeljacht des 17. Jahrhunderts, Zeichnung des Autors nach einem Stich von Dirk Everson Lons 1629.

Abb. 2: Eine holländische Segeljacht des 17. Jahrhunderts, Zeichnung des Autors nach einem Stich von Dirk Everson Lons 1629.

Die von W. F. Ryan angeführten Dokumente über den Bau und den geistigen Schöpfer der königlichen Jacht HMS ROYAL TRANSPORT, Peregrine Osborne, zeigen deutlich, daß sich hier ein völlig neues Konzept entwickelte. Ein Günstling am Hofe König William III. von England und selbst ein kühner Jachtsegler, der Marquis of Carmarthen, Peregrine Osborne, war Admiral of the Blue in der Royal Navy und Oberst des 1. Marine Regiments. Er entwarf für seinen Souverän eine schnelle Jacht, die er entsprechend seiner eigenen Vorstellungen takelte, was von der Admiralität nur unter schriftlichem Protest hingenommen wurde. Daß sein Gefühl für schnelle Schiffe keine Eintagsfliege war, bewies er fünf Jahre später durch den Entwurf und Bau eines weiteren, die PEREGRINE GALLEY, eine Fregatte ähnlicher Größe, die 1716 als königliche Jacht in CAROLINA umbenannt wurde.

Abb. 3: Takelungsplan von HMS ROYAL TRANSPORT 1695. Aus verschiedenen Fotos des Modells entwickelt. Die gestrichelten Linien stellen die wahrscheinliche Besegelungen des Schiffes dar. Zeichnung des Autors.

Abb. 3: Takelungsplan von HMS ROYAL TRANSPORT 1695. Aus verschiedenen Fotos des Modells entwickelt. Die gestrichelten Linien stellen die wahrscheinliche Besegelungen des Schiffes dar. Zeichnung des Autors.

HMS ROYAL TRANSPORT wurde von Robert Lee als Schiff des 6. Ranges gebaut und am 11. Dezember 1695 in Dienst gestellt. Es hatte folgende Abmessungen:

Länge über Deck 90 Fuß
Kiellänge 75 Fuß
Größte Breite 23 Fuß 6 Zoll
Tiefe (Hol) 9 Fuß 9 Zoll
Tonnage 220
Besatzung 100 Mann
Bewaffnung 18 Geschütze

Sie war das schnellste Schiff ihrer Zeit und einer der Gründe, daß Zar Peter der Große 1687 England besuchte. Er wollte den englischen Schiffbau kennenlernen, wo man Schiffe baute, die „gegen den Wind“ segeln konnten und erhielt dann auch diese Jacht als Geschenk. Sie strandete 1717 vor der schwedischen Küste.

Von 1695 an ist die Kette nachweisbarer Schoner nahezu lückenlos. Allerdings wurden sie im europäischen Raume mehr als ein halbes Jahrhundert lang nicht unter diesem Namen geführt. In England liefen sie unter dem Sammelbegriff Sloop und selbst 1750 schrieb Thomas Blanckley in A NAVAL EXPOSITOR noch über die Bemastung und Takelung von Sloops, daß ihre Bemastung und Takelung von dem Gefallen einzelner Menschen abhing. Sie konnten ein-, zwei- oder dreimastig sein und Gaffel-/Baumsegel, Schafschinken, Quersegel, Lugsegel oder feste Gaffel(Schmack)segel führen. In der Betrachtung dieser Segelarten wird es offenkundig, daß eine zweimastige Schlup mit Gaffel-/Baumsegeln zum Gaffelschoner und mit Gaffel-/Baumsegel am Großmast und dem festen Gaffelsegel am Schonermast zum Toppsegelschoner wurde. Zum Toppsegelschoner, weil das feste Gaffelsegel seit seiner Einführung um ca. 1625 immer mit einem Rahtoppsegel einherging. Die Takelung einer Sloop mit einem quergeriggten Vormast und einem Gaffel-/Baumsegel am Großmast machte sie zu einer Brigantine, oder wie man in Deutschland auch sagt, zu einer Schonerbrigg.

Abb. 4: Schonergetakeltes Boot auf der Themse aus Kip's Nouveau Theatre de la Grande Bretagne 1708. Archiv des Autors.

Abb. 4: Schonergetakeltes Boot auf der Themse aus Kip’s Nouveau Theatre de la Grande Bretagne 1708. Archiv des Autors.

Abb. 5: Eine der auf dem Gemälde W. v. d. Veldes d. J. Englische Jachten auf See in einer frischen Brise von ca. 1704/05 befindlichen Jachten. Zeichnung des Autors.

Abb. 5: Eine der auf dem Gemälde W. v. d. Veldes d. J. Englische Jachten auf See in einer frischen Brise von ca. 1704/05 befindlichen Jachten. Zeichnung des Autors.

Das nächste Glied in der Kette der nach 1695 überlieferten Schonerdarstellungen ist die Darstellung eines schonergetakelten Bootes auf der Themse in Jan Kip’s 1708 veröffentlichtem Werk NOUVEAU THEATRE DE LA GRANDE BRETAGNE. Eine Einzelkopie dieses Bildes im Britischen Museum soll entsprechend E. P. Morris THE FORE AND AFT RIG IN AMERICA das mit Bleistift vermerkte Jahr 1697 aufweisen und in derem Katalog so geführt worden sein. Wenn diese Jahreszahl echt ist, kann dieses Boot möglicherweise Lord Carmarthens Flußfahrzeug darstellen, da es über die normale Weise der Speeljacht- und Shalloptakelung hinausgeht, zusätzlich ein Bugspriet mit Vorsegel aufweist und weiterhin im Heck eine dunklere (blaue?) Flagge führt, die wahrscheinlich den Marinerang des Besitzers andeutete. Auf dem um 1704/05 von William van der Velde dem Jüngeren gemalten Bilde ENGLISCHE JACHTEN AUF SEE IN EINER FRISCHEN BRISE sind zwei Jachten erkennbar, die in nahezu gleicher Weise wie die ROYAL TRANSPORT getakelt waren. Zwei original als Ketch geriggte und 1682/83 gebaute Jachten, die FUBBS und die ISABELLA, wurden 1701 und 1703 umgebaut und es lag nahe, diese neue sich so gut bewährte Takelung auf die nächsten Jachten des königlichen Haushalts zu übertragen. Diese waren in ihren Maßen und der Anzahl der Bewaffnung den Jachten auf dem Bilde sehr ähnlich.

In den ersten zehn Jahren der Schonergeschichte gab es also schon mindestens drei uns bekannte englische Schoner, deren Tonnage von 114 bis 220 tons reichte. Im Jahre 1711 wurde in Deptford eine neue, die FERRETT Klasse von Sloops gebaut, die 117 tons groß waren und von denen die FERRETT um 1715-16 zweimastig umgetakelt wurde. In der Ermangelung von Nachweisen über Masten und Rahen wurde bisher eine (auch relativ neue) Brigantinetakelung angenommen. Der 1723 oder 1725 veröffentlichte Kupferstich von William Burgis: A VIEW OF BOSTON zeigt erstmalig Schoner, Schiffe ohne Bug- oder Heckverzierung, von denen sich eines in Rumpfform, dem Gallionsschmuck und der Flaggensetzung abhebt und mit größter Wahrscheinlichkeit eine englische Sloop darstellt. Die FERRETT wurde 1728 von den Spaniern vor Cadiz gekapert.

Mit dem Geburtsort des Schoners, Chatham, im europäischen England liegend, der Name Schoner wurde zwanzig Jahre später nach W. A. Baker erstmalig im Mai 1716 in den Boston Port Records als Scooner erwähnt und ist demzufolge ein amerikanischer Begriff. Die Gloucester Town Records meldeten im August 1716 den Verlust eines neuen Fischerei-Schoners und in einem von M. Edson, Jr. veröffentlichten Artikel werden in den Boston News-Letters verschiedene 1717 Daten als erste gedruckte genannt, wobei vermerkt wurde, daß zwei Schoner vor der Nord Carolina Küste von Piraten gekapert wurden, einer von Boston, der andere von London. Hier ist also bereits in 1717 die Ozeanüberquerung eines Schoners vermerkt, während Baker über die Größe amerikanischer Schoner dieser Zeit aussagte, daß zwei der in 1718 von Small Point Harbour in Maine fischenden Schoner 10 tons und ein dritter 8 tons groß waren. E. P. Morris schrieb über die 42 Fahrzeuge, die es 1730 in Connecticut gab, daß zwei davon Schoner waren und eine Tonnage von 30 und 50 tons hatten. Die in 1762 gezählten 94 Schiffe in Newport, Rhode Island wiesen sieben schonergetakelte auf, die eine Durchschnittstonnage von 45 tons hatten. Allein der Vergleich der Tonnagen läßt erkennen, wo der Schoner herkommt.

Zu dem Rätselraten um den Namen habe ich in meinem Buche eine neue Variante beigetragen, die mir etwas plausibler erscheint als alles, was bisher aufgetischt wurde. Vorausgeschickt muß werden, daß in dem amerikanischen Küstenbereich mit den ersten nachweisbaren Schonern auch viele Holländer lebten und daß William III. von England aus Holland kam. In seinem Krieg mit Frankreich benutzte er die ROYAL TRANSPORT für schnelle Kanalüberquerungen nach Holland. Es liegt da sehr nahe, daß Holländer über das Aussehen des „schmucken Schiffes“ nur sagen konnten: „een schoone schip“. Da auch die weiteren Schonerjachten schöne Schiffe waren, kann dieser Jargon leicht von nach Amerika auswandernden Holländern auf die so getakelten neuen amerikanischen Fahrzeuge verpflanzt worden sein. Da das englische Ohr beim gesprochenen E am Ende des Wortes auch ein R vermutet, wurde aus dem holländischen Wort schoone das englische schooner. Eine nautische Beziehung braucht das Wort genau so wenig zu haben, wie viele der anderen Typen. Siehe Klipper, Kogge, Kuff usw.

Abb. 6: Der rechte Teil der Ansicht von Boston von William Burgis, zwischen 1723 und 1725 veröffentlicht. Während der linke Teil einen schmucklosen Schonner unter Segel aufweist, ist auf dem rechten (Pfeil) ein vor Anker liegender Schoner mit Gallionsfigur sichtbar, der durch Gösch und Stander am Großmast als Marine- oder Zollfahrzeug erkennbar ist. Deutlich sichtbar ist auch der Baum am Vor-, dem Schonermast. Es ist die früheste bekannte Darstellung von Schoonern in Amerika und auch die früheste, diesen Baum zeigend. Archiv des Autors.

Abb. 6: Der rechte Teil der Ansicht von Boston von William Burgis, zwischen 1723 und 1725 veröffentlicht. Während der linke Teil einen schmucklosen Schonner unter Segel aufweist, ist auf dem rechten (Pfeil) ein vor Anker liegender Schoner mit Gallionsfigur sichtbar, der durch Gösch und Stander am Großmast als Marine- oder Zollfahrzeug erkennbar ist. Deutlich sichtbar ist auch der Baum am Vor-, dem Schonermast. Es ist die früheste bekannte Darstellung von Schoonern in Amerika und auch die früheste, diesen Baum zeigend. Archiv des Autors.

Genau so umstritten wie der Ursprung des Schoners, ist die Frage seiner Besegelung. Was kam zuerst, der Gaffel- oder der Toppsegelschoner? Bis in die späten zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts gab es nur Gaffelschoner. Alle Darstellungen haben noch eine relativ kurze Gaffel und auf der Burgis-Darstellung ist erstmalig bei der englischen Marine Sloop ein Baum am Schonermast erkennbar. Der Toppsegelschoner ist ein Produkt des sich im dritten Jahrzehnt aus den Fischereifahrzeugen entwickelnden Handelsschoners. Solange keine entsprechenden Beweise auftauchen, kann man diesen nicht früher einstufen.

Abb. 7: Takelplan des portugiesischen Schoners ST. ANN von 1735. Die Takelung ist entsprechend der auf dem Originalriß verzeichneten Rundholzabmessungen geschaffen. Zeichnung des Autors.

Abb. 7: Takelplan des portugiesischen Schoners ST. ANN von 1735. Die Takelung ist entsprechend der auf dem Originalriß verzeichneten Rundholzabmessungen geschaffen. Zeichnung des Autors.

Ein nächster Markstein in der uns bekannten Schonerentwicklung ist der portugiesische Schoner ST. ANN. Er wurde im August 1736. nachdem er dort im Juli mit Post und Passagieren? (with a packet) ankam, in Portsmouth aufgerissen. Im Lichte des bisherigen Schonerdenkens war es ganz natürlich, wenn die Amerikaner dieses Schiff als nordamerikanisch annektierten. Es gibt jedoch keine Beweise für den Bau der ST. ANN in den Kolonien. Es gibt aber eine Zeichnung, die es deutlich macht, daß dieses nur 36 tons große Fahrzeug weder für Fracht noch für Fischerei gebaut war. Der schlanke Rumpf mit seinen außerordentlich extremen Linien, die wahrscheinlich der Grund für den zeichnerischen Aufriß des Schiffes waren, sind die einer Jacht oder eines schnellen Marinefahrzeuges. Außerdem waren Verzierungen, Gallionsregeln und eine Gallionsfigur, nicht die Attribute eines kleinen Handelsschiffes, sondern eines Marinefahrzeuges und waren im Stil und der Anbringung englisch. Dieser erste dokumentierte, für Schnelligkeit übertakelte Toppsegelschoner, hat all die Merkmale eines europäischen Schoners und man kann ihn nur der amerikanischen Sphäre zuordnen, wenn urkundliche Belege dafür gefunden werden. Ungewöhnlich an der englischen Zeichnung ist nur die im englischen Marinebereich der Zeit noch nicht sehr geläufige Benutzung des Wortes scooner. Man kann dies aber damit erklären, daß der die Zeichnung herstellende englische Schiffbauer koloniale Erfahrungen gesammelt haben konnte.

Mit dem Wort noch hauptsächlich außerhalb des europäischen Sprachgebiets befindlich fällt es schwer, Schoner europäischen Ursprungs in die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte einzuordnen. Zumal diese Takelung nur eine von etlichen der im Beginn des 18. Jahrhundert deutlich werdenden war und Schiffe der Zeit noch fast ausschließlich von der Rumpfform her bezeichnet wurden. Die moderne Klassifizierung von Schiffen entsprechend ihrer Takelung lag selbst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch sehr in den (Klein)Kinderschuhen. In dem Lande das uns die Schonertakelung gab, entwickelten sich gleichzeitig die Brigantine-, Kutter- und Luggertakelung für schnellsegelnde Fahrzeuge und so nimmt es nicht Wunder, daß von der zweimastigen Gaffeltakelung nicht mehr dokumentarische Unterlagen vorhanden sind, als von den infantilen Jahren der anderen Takelungen. Es ist deshalb kaum verwunderlich, wenn die Entwicklungsgeschichte dieser Periode mehr Spuren in dem Gebiet hinterließ, in dem der Takelungsname im stetigen Gebrauch war.

Abb. 8: Tuschezeichnung des amerikanischen Toppsegelschoners BALTICK von 1765. Unter vollen Segeln dargestellt, zeigt dieses Schiff den typischen amerikanischen Handels-Schoner der 60er Jahre. Das ebenfalls gezeigte Großstag- im Zusammenhang mit dem Schobersegel, läßt ebenfalls mögliche Brigantinetakelung vermuten. Die Flaggenführung des Schiffes weist auf dessen offiziellen Status als Marine- oder Zollfahrzeug hin. Foto mit freundlicher Genehmigung des Peabody Museums Salem, Mass.

Abb. 8: Tuschezeichnung des amerikanischen Toppsegelschoners BALTICK von 1765. Unter vollen Segeln dargestellt, zeigt dieses Schiff den typischen amerikanischen Handels-Schoner der 60er Jahre. Das ebenfalls gezeigte Großstag- im Zusammenhang mit dem Schobersegel, läßt ebenfalls mögliche Brigantinetakelung vermuten. Die Flaggenführung des Schiffes weist auf dessen offiziellen Status als Marine- oder Zollfahrzeug hin. Foto mit freundlicher Genehmigung des Peabody Museums Salem, Mass.

Dort brachte der Siebenjährige Krieg (amerikanisch: der Französisch/Indianische Krieg) von 1755 bis 63 den bisher weniger beachteten amerikanischen Handelsschoner ins Bild. Beide Parteien, Engländer sowohl wie Franzosen, machten sich diesen zu Nutze und die Britische Admiralität baute in den Kolonien eine Reihe von Schonern. Der Name selbst wurde jedoch erst offiziell in der Royal Navy genannt, als am 7. Januar 1764 die Admiralität den Ankauf von 6 Schonern genehmigte. Der erste in der Liste war die CHALEUR, die dadurch fälschlich immer wieder als der erste englische Schoner bezeichnet wird. All diese amerikanischen Schoner waren bis dahin ziemlich völlig gebaut und gingen in ihrer Länge kaum über 70 Fuß hinaus.

Wann der Name Schoner in den weitläufigen europäischen Sprachgebrauch überging, kann nicht genau gesagt werden. Die offizielle Nennung in 1764 und das Erscheinen in Falconer’s Marine-Wörterbuch von 1769 und in Chapman’s Werk von 1768 sind zwar Anhalts-, jedoch keine Ausgangspunkte. Wieweit zu diesem Zeitpunkt der Name bereits im Volksmund Fuß gefaßt hatte und wie weitverbreitet die Takelung schon war, läßt uns Frederik H. af Chapman erahnen. Seine erfahrungsammelnden Wanderjahre 1741-1744 sahen ihn als zwanzigjährigen Schiffszimmermann in London und später 1750 bis 57 Schiffbau studierend in England, Holland und Frankreich. Von 1757 bis 1764, dem Jahr des Beginns seiner Arbeit an dem Werke ARCHITECTURA NAVALIS MERCATORIA, war er im Ostseeraum tätig. Er selbst ist in seinen Jahren in England dem Namen und Takelungstyp begegnet, brachte er doch den Plan der ST. ANN mit nach Stockholm. Demzufolge mußte der Name lange bevor seiner offiziellen Nennung im englischen Schiffbaubereich geläufig gewesen sein. Was an Chapmans Arbeit verblüfft, ist die Art der Eingliederung des Schoners in sein Zeichnungswerk. Hier entstand nun ein Buch, das sich in allererster Linie an den schwedischen Leser richtete und dementsprechend aufgeteilt wurde. Es gab die Gruppen HANDELSFAHRZEGE, FAHRZEUGE FÜR SCHNELLES SEGELN UND RUDERN, KAPERFAHRZEUGE und als Abnormalitäten für den Schiffahrtskundigen des Ostseeraumes, FAHRZEUGE VERSCHIEDENER NATIONEN.

Abb. 9: Schonertakelung entsprechend der Chapman Angaben von 1768. Zeichnung des Autors.

Abb. 9: Schonertakelung entsprechend der Chapman Angaben von 1768. Zeichnung des Autors.

Schoner waren aber nicht, wie man von der so lange und stark propagierten „amerikanischen“ Entwicklung des Typs erwarten sollte, in der letzten Sparte zusammen mit der Bermuda Schlup, dem Kutter, Tartane, Fleute usw. unter den in Schweden ungewöhnlichen Fahrzeugen aufgeführt, sondern in den ersten drei Sparten, als wenn Takelung und Name jedem Schweden schon lange geläufig wären. Auch stufte er auf Tafel LXII die Takelung als Nr. 6. nach der Brigg und dem Bilander als eine der gebräuchlicheren Rigs ein.

Zu einer Zeit als amerikanische Schoner kaum die 100 tons Grenze durchbrochen hatten, nicht viel länger als 70 Fuß waren und in ihrer Bauweise keine großen Variationen aufwiesen, gab uns Chapman eine 159 tons Bark, eine 115 tons Fregatte, zwei Paketboote, zwei Jachten und zwei Kaper mit Schonertakelung. Chapman baute dann in 1777 eine 110 Fuß große schonergetakelte Jacht, die AMPHION, für Gustaf III. von Schweden und noch weitere Schoner für Marine und Handel.

Abb. 10: Schonergetakelte Bark aus F. H. af Chapman Architectura Navalis Mercatoria 1768, Tafel XXVII/4.

Abb. 10: Schonergetakelte Bark aus F. H. af Chapman Architectura Navalis Mercatoria 1768, Tafel XXVII/4.

Abb. 11: Schonergetakelte Fregatte aus F. 11. af Chapman Architectura Navalis Mercatoria 1768, Tafel VII/9.

Abb. 11: Schonergetakelte Fregatte aus F. 11. af Chapman Architectura Navalis Mercatoria 1768, Tafel VII/9.

Abb. 11: Schonergetakelte Fregatte aus F. 11. af Chapman Architectura Navalis Mercatoria 1768, Tafel VII/9.

Abb. 12: Schonergetakelte Jacht aus F. H. a f Chapman Architectura Navalis Mercatoria 1768, Tafel XLI V/4.

Unabhängig von Chapmans Einfluß entstanden 1769 in Frederiksvaern an der norwegischen Nordseeküste vom Schiffbaumeister F. M. Krabbe gebaute schonergetakelte Schärenboote und bald darauf baute der Schiffbaumeister Gerner einen Schoner für die dänische Flotte. Hans Szymanski erwähnte einen 1787 nach Apenrade gehörenden Schoner, zwei 178 nach Flensburg gehörige und folgt dann mit Angaben von Vegesack bis Kolberg, damit eine Fortsetzung der bereits genannten Kette von Schonern in Nord und Ostsee aufzeichnend.

Abb. 13: Takelplan des Norwegisch-Dänischen Schärenbootes ELGEN 1769 nach Originalplänen. Zeichnung des Autors.

Abb. 13: Takelplan des Norwegisch-Dänischen Schärenbootes ELGEN 1769 nach Originalplänen. Zeichnung des Autors.

Französisch gebaute bewaffnete Schoner sind 1767 (AFRIQE, gebaut in Rochefort von Chevaillard) und 1769 (gebaut in Brest durch Ollivier) nachweisbar. Die wohl früheste Abbildung eines Schoners in Holland ist die von Groenewegen in 1789. Leider ist es in der hier besprochenen Zeit meistens nur möglich, Auskünfte über Fahrzeuge von Kriegsflotten zu erfahren und so kann über die kommerzielle Anwendung, die der militärischen gewöhnlich weit voraus eilte, im europäischen Raum wenig ausgesagt werden. Chapmans Aufführung von sechs nur für den Handel und das Vergnügen konstruierte Schoner zeigt aber, daß diese im Ostseeraum schon mindestens genau so bekannt waren wie auf der anderen Seite des Atlantik.

Die ersten siebzig Jahre der Schonerentwicklung deuten von England kommend auf eine ständige Ausdehnung dieser Takelung im nordeuropäischen Raum sowohl, als auch auf eine zwanzig Jahre später beginnende Parallelentwicklung in den britischen Kolonien in Nordamerika hin. Die Verbreitung des Schoners in den Westindischen Kolonien ist eine Folgeerscheinung der Ausdehnung des Typs von den Neuengland-Staaten über Virginia zu den Inseln, wo die Takelung wegen des dichten am Winde segelns als ideal erschien. Eine Verpflanzung dieser von Westindien nach Europa kann nicht bewiesen werden, jedoch kam eine spätere Beeinflussung der Hochseeschoner sicherlich von dort und den Vereinigten Staaten. Es war die Zeit des Unabhängigkeitskrieges und die nachfolgenden Jahre der jungen Nation, die den Schoner in Amerika aus wirtschaftlichen Notstandsgründen revolutionierten und zu Schnellseglern machten. Der Baltimore-Klipper entstand, die sogenannte Pilotbootform des glattgedeckten Schoners wurde geboren, die ersten dreimastigen Schoner gebaut und in den Napoleonischen Kriegen wurden Schoner zu ausgezeichneten Kaperschiffen. In dieser Zeit entwickelte sich die Schonertakelung wirklich zu einer amerikanischen „Nationaltakelung“.

Die Schiffe der europäischen Küstenfahrt wurden davon aber kaum beeinflußt. Sie hingen entweder sehr von den eigenständigen, mitunter nur lokalen Formen ab die sich aus den Verhältnissen der Häfen und der Küstenlinie ergaben, oder waren zweckgebunden. Meistens ging beides Hand in Hand. Die dänische Jachtschonerform z.B. läßt sich schon in den Rissen der Schärenboote erkennen und wird noch deutlicher in den Linien der vielen Kanonenboote, die nach der Zerstörung der dänischen Flotte durch die Britische Royal Navy für den Küstenschutz geschaffen wurden. Beide Typen hatten eine Gaffelschonertakelung und der letztere war auch in Schweden daheim. Eine sehr ähnliche Form mit weniger Stevenfall und Toppsegel getakelt wurde 1802/03 in England von der Marinebehörde gezeichnet, um in der Kolonie von Neu Süd Wales gebaut zu werden und das erste dort gebaute Seeschiff war die FANCIS, ein Schoner von 41 tons, der 1793 aus vorgefertigten Teilen zusammengebaut wurde. Das nur am Rande, um zu zeigen, daß man wegen Schoner nicht unbedingt nach Amerika sehen muß.

Das alte deutsche Sprichwort: „Warum in die Ferne schweifen, wenn die Wahrheit liegt so nah“ trifft gerade auf den Schoner zu. Nicht der Mangel an Schonern, sondern das für Jahrzehnte nicht akzeptierte koloniale Wort Schoner ließ für zu lange diesen Takelungstyp aus dem Gesichtswinkel des europäischen Schiffbauhistorikers verschwinden und überließ ihn den Amerikanern. Nicht nur der Schoner der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird erst jetzt auf seinen historisch gerechten Platz gerückt. Die vorgenannte Typenbezeichnung entsprechend der Rumpfform machte es auch schwer, gewisse andere Takelungsformen einzuordnen. So schrieb z.B. Blanckley 1750, daß Brigantinen nicht mehr benutzt werden, dabei aber von einem Bautyp sprechend, während nicht einmal 20 Jahre später Falconer dies bereits spezifiziert, indem er auf den Takelungstyp hinweist, der von englischen Seeleuten als Brigantine oder Brigg bezeichnet wird. Bereits auf der Burgis-Darstellung von Boston als englisches Fahrzeug gekennzeichnet und auf französischen von 1709 und 1720 erscheinend, war auch dieser Takelungstyp für eine lange Zeit ein Kind ohne Namen. Man fand sie alle unter den auch nicht deutbaren Begriff Sloop, oder Schlup, der ebenfalls später zu einem Namen einer gewissen einmastigen Takelung wurde.

Quellenverzeichnis:

Baker, W. A. Seafaring in Colonial Massachusetts, Boston 1980
Blanckley, T. R. A Naval Expositor, London 1750, Rotherfield 1988
Chapelle, H. I. The Baltimore Clipper, Salem Mass. 1930
Chapelle, H. I. The Search for Speed under Sail, London 1983
Chapman, F. H. af ARCHITECTURA NAVALIS MERCATORIA, Stockholm 1768, Rostock 1955
Edson Jr., M. The Schooner Rig, A Hypothesis . The American Neptune, Vol. XXV/2, 1965
Laing, A. American Sail, New York 1961
MacGregor, D. R. Schooners in four Centuries, London 1982
Marquardt, K. H. Eighteenth Century Rigs & Rigging, London
1992, stark erweiterte englische Ausgabe von „Bemastung und Takelung von Schiffen des 18. Jahrhunderts“, Rostock & Bielefeld 1986.
Marquardt, K. H. Schooner for Port Jackson- again Nautical
Research Journal Vol. 32/4, 1987
Marquardt, K. H. The Origin of Schooners, The Great Circle Vol. 10/1, Toronto N.S.W. 1988
Marquardt, K. H. Schoner In Nord und Süd, Rostock & Bielefeld 1989
Marquardt, K. H. CHALEUR 1763 – 1768 by Harold M. Hahn, A few remarks on the model’s rigging Nautical Research Journal Vol. 35/2, 1990
Marquardt, K. H. Co-Autor des The Line of Battle, Kapitel: Fore and Aft Rigged Warship, London 1992
Morris, E. P. The Fore and Aft Rig in America, New Haven 1927
Ryan, W. F. Peter the Great’s English Yacht, Mariner’s Mirror Vol. 69/1, London 1983
Sleeswyk, A. W. The Origin and Development of the triangular Sail and the Gaff Sail in 17. Century Holland, Mariner’s Mirror Vol. 73/4, London 1987
Szymanski, H. Die Segelschiffe der Deutschen Kleinschifffahrt, Lübeck 1929
Szymanski, H. Deutsche Segelschiffe, Berlin 1934