Etwas über die Entwicklung des Stampfstocks
Zuerst veröffentlicht in: DAS LOGBUCH 1997/3, Arbeitskreis historischer Schiffbau e.V., Köln. |
Download PDF Download EPUB PDF/HTML/EPUB-Umsetzung: Bodo van Laak |
„Was ist so interessant an einem lapidaren Stampfstock?“ wird die Frage vieler Leser lauten. Eine Frage, die sicherlich von jedem historisch engagierten Schiffsmodellbauer sofort mit: „Nicht gerade wenig“ gekontert wird. Die richtige Anwendung oder Nichtanwendung eines solchen in der Takelage eines Modells kann den Unterschied zwischen einer zeitlich richtigen, oder anachronisch mißratenen darstellen, und wer will das schon. Dazu ist es wichtig etwas über die Entwicklung des Stampfstockes und dem Zeitraum seines ersten Erscheinens zu wissen. Nur so können offenkundige Fehler wie z.B. beim Restaurieren des französischen 70-Kanonen-Schiffes LE LION von 1780 (1) vermieden werden. Diesem Modell gab man bei einer Restaurierung im 19. Jahrhundert einen doppelten Stampfstock und drei Stampfstage. Sehr smart aussehend stimmt das aber zeitlich so gar nicht mit dem Datum 1780 überein. Von Bildern und Modellen lernen wir, daß in Frankreich die Evolution des Stampfstockes nicht früher begann als in der Flotte des großen Kontrahenten auf der anderen Seite des Ärmelkanals. Dort waren die Jahre nach 1780 zwar eine Zeit des ersten Experimentierens mit dem Martingale oder Dolphin striker; an einen doppelten Stampfstock und verschiedene Stampfstage dachte man dabei jedoch absolut noch nicht. Datenangaben in Modellhandbüchern (2) die 1750 als Ausgangsjahr des einfachen Stampfstockes angeben sind irreführend, und beim Vergleich dieser Werke miteinander wird an dem Erstausgabedatum deutlich, welcher Autor die etwas großzügig über den Daumen gepeilte Zeitangabe in Wort und Bild entwickelte und wer sie ohne weitere Überlegungen in der gleichen Weise weiterverbreiterte.
In seinen ersten Anfängen war der Stampfstock ein senkrecht mit Krampen vor das Bugspriet-Eselshaupt genagelter Eschenstab. David Steel erwähnt ihn 1794 (3): MARTINGAL. An ash bar, fixed downwards from the fore-side of the bowsprit-cap, and by which the martingal-stay supports the jib-boom. (Martingal [in diesem Falle: Stampfstock]. Ein auf der Vorderseite des Bugsprieteselshauptes herunterhängend angebrachter eschener Stab, durch welchen das Stampfstag den Klüverbaum unterstützt). Diese wohl älteste englische Beschreibung ist jedoch nicht als Beginn des Stampfstockes anzusehen, sie stimmt aber zeitlich mit dessen offizieller Einführung in die britische Royal Navy überein. Eine gleichartige Anbringung wird am Modell des französischen 64-Kanonen-Schiffes LE PROTECTEUR von 1793/94 (4) offenkundig, während die etwas älteren Modelle dieser Flotte (mit der Ausnahme des oben angeführten) um 1780 noch keinen Stampfstock aufweisen.
Eine sieben Jahre vor der offiziellen Einführung entstandene bildliche Darstellung, die als „First Fleet“ bekannt gewordene erste Strafgefangencnflotte auf dem Wege nach Australien, 1787 im Hafen von Rio de Janeiro zeigend, läßt bei den begleitenden Kriegsschiffen und den erst wenige Jahre alten Transportschiffen bereits einfache Stampfstöcke erkennen, während die älteren noch ohne solche getakelt waren. Der Künstler dieser Aquarellskizze war Georg Raper, ein Medshipman an Bord HMS SIRIUS. Als junger, angehender Seeoffizier durften ihm unter den Augen seiner gestrengen Senioren gewiß keine Fehler in der Darstellung von Takelungen unterlaufen, was in seinem ein Jahr späteren Schiffporträts von HMS SIRIUS und HMS SUPPLY noch unterstrichen wird, wobei die Takelungen dieser Schiffe in etwas mehr Detail ausgelegt wurden.
Raper’s Darstellungen scheinen die ältesten zu sein; früher datierte Bilder, auf denen ein Stampfstock erkennbar ist, sind mir nicht bekannt, was aber ein etwaiges Vorhandensein solcher nicht ausschließt.
Aus den bekannten Baudaten der auf dem Rio Aquarell sichtbaren Schiffe können gewisse Schlüsse auf ein erstes Auftreten des Stampfstockes gezogen werden, wobei die mit einem solchen getakelten um 1783 und danach gebaut wurden. Wir dürfen jedoch nicht so vermessen sein, diese Schiffe als die allerersten so ausgestatteten zu werten, immerhin war schon die halbe „First Fleet“ damit ausgerüstet. Der Ausgangspunkt muß etwas früher liegen und man darf das eine oder andere Jahr hinzugeben, was den mutmaßlichen Beginn des Experimentierens mit Stampfstöcken in den Beginn des neunten Jahrzehnts verlegt.
Gründe für die Einführung dieser Vorrichtung wurden in Falconer’s 1815 Dictionary erläutert: MARTINGALE, in a ship, a name given to a rope extending downwards from the jib-boom end to a kind of bumkin, and generally fixed perpendiculary under the cap of the bowsprit; its use is, to confine the jib-boom down in the same manner as the bobstays retain the bowsprit. (Martingale [hier ist das Stampfstag gemeint], ist in einem Schiff der Name eines Taues, welches vom Klüverbaumende zu einer Art von Baum herunterkommt, der gewöhnlich senkrecht unter dem Bugsprieteselshaupt befestigt ist; es wird gebraucht, um das Klüverbaumende vertikal in der gleichen Weise zu sichern, wie die Wasserstage das Bugspriet). Ein Beweis für die Neuheit des Stampfstocks ist Rödings’s Vermerk, der 1794, also selbst noch im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts, den Stampfstock nur im Französisch-Deutschen Index seines Werkes erwähnt. Weder im Deutschen Wörterbuch, noch im englischen oder anderssprachigen Index. Man darf daraus schließen, daß er seine Kenntnis dieses Takelungsteils wohl französischer Lektüre entnahm. Martingale, Eine Spier, die einige Fuß lang ist, und in lotrechter Richtung mit dem Bugspriet, am Ende desselben auf großen Schiffen befestigt wird. Am unteren Ende dieser Spier befindet sich ein Loch, durch welches ein Tau geschoren wird, das am äußeren Ende des Klüverbaums befestigt ist und fährt alsdann durch einen Block unten am Scheg des Schiffs oben zur Back hin wo es angeholt wird. Dieses Tau dient dem Klüverbaum zum Wasserstag.
Das zuerst über eine Kerbe im unteren Ende geleitete Stampfstag wurde am Anfang mit einer Zurring vor der Blinderah am Bugspriet festgesetzt. Das Setzen einer Bovenblinde wurde dadurch mehr als nur behindert und die Einführung dieses Stages verkündete das Ende des Gebrauchs der Bovenblinde. ln den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts wurde die Kerbe bereits häufiger durch eine Scheibe oder ein Loch ersetzt und es gab Versuche mit einem zweiten Stampfstag, das am Klüverbaum ansetzte, also an dem auf dem Klüverbaum beweglich sitzenden Ausholring, der das untere Ende des Klüverstages aufnahm. Darcy Lever (5) hob den Nutzen dieses Stampfstages hervor, wenn das Klüverstag auf dem Baum um ein Drittel oder die Hälfte eingeholt war. Da es direkt unter diesem saß, konnte es den Zug eines Klüvers an dem Klüverbaum kontern. Auch beschrieb er die doppelten Stampfstöcke einiger Schiffe, die nach seinen Worten etwas auswärts gerichtet waren und von denen jeder eine Scheibe aufwies. Verschiedene Aquarelle von A. Roux zwischen 1805 und 1823 (6) zeigen solche doppelten Stampfstöcke.
Auch verweisen Takelpläne der amerikanischen Korvette GENERAL PIKE, Briggs CHIPPEWA und SPARK und des Schoners ALLIGATOR, alle zwischen 1813 und 1850 gefertigt (7), auf diese Art der Anbringung. Die zwei Stampfstage liefen dann über Blöcke vor der Blinderah am Bugspriet zur Back, wo sie mit einer Talje fest waren. Dies war der Fall auf allen mit einer Blinde ausgerüsteten Schiffen, eines Segels, das in den Jahren zwischen 1815 und 1830 aus dem Segelinventar der Schiffahrt verschwand. Lever erwähnte außerdem, daß doppelte Stampfstöcke vor dem Eselshaupt dicht unter dem Loch für den Klüverbaum mitunter mit einem bolzengesicherten Scharnier fest waren, um im Dock entfernt oder aufgeholt zu werden. Mit dem Aufkommen des fliegenden oder Außenklüverbaumes um 1795 kam als ein drittes Stampfstag das des neuen Baumes hinzu. Das Experimentieren mit doppelten Stampfstöcken geschah hauptsächlich in den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und war mehr auf amerikanischen und französischen Schiffen zu Hause, als bei anderen Nationen.
Die Evolution des Stampfstockes führte um 1815 zu einer dritten Form, die sich für die nächsten ca. vier Jahrzehnte behauptete. Nicht mehr vor dem Eselshaupt, saß er nun mit einer Klaue hinter diesem und wurde mittels eines einfachen Tauracks am Bugspriet festgehalten. Um diese Zeit begann man auch die Klüver- und Außenklüverstage über Scheiben im Stampfstock zu leiten. Das bisher an dem Klüverbaumende befestigte und durch den Stock führende Stampfstag wurde fortan geteilt und war mit dem vorderen Teil, der Stampfstockgeie, zu einem Augbolzen im Stock gezurrt, während das hintere Teil, als Stampfstock-Achterholer bezeichnet, im Augbolzen gedoppelt war und vermittels Taljen oder einfacher Laschungen beiderseits zum Bug festmachte. Von oben nach unten liefen oberhalb dieser Augbolzen die Klüverleiter und unterhalb das Vorbramstag. Die Außenklüverleiter, der Außenklüverbaumdomper und das Voroberbramstag liefen über die Scheiben im Stampfstock. Beginnend mit dem vierten Jahrzehnt wurde das Tauwerk der Stampfstockgeie mehr und mehr durch eine Kette ersetzt. Der Zeitpunkt des Überwechselns zur Kette für den Achterholer kam etwas später und sollte in die Zeit nach der Mitte des Jahrhunderts eingeordnet werden.
Mit der Einführung des eisernen Bugsprieteselshauptes um die Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich auch die Position des Stampfstockes. Er saß fortan unter dem Eselshaupt und war schwenkbar gelagert, entweder nur in der axialen Linie oder durch eine zweite Kupplung auch seitwärts. Bei diesem Stampfstock verzichtete man auf die Scheibenführung der Stage und Leitern und bolzte anstelle derer Leithaken zu den Außenseiten des Stockes. Stampfstockgeie und Achterholer saßen fortan nicht mehr in der Mitte, sondern am unteren Ende des Stockes. Der hölzerne Stampfstock, der hier schon eiserne Kupplungs- und Endbeschläge aufwies, wurde sehr bald völlig aus Eisen hergestellt und war im Ende nur noch ein Stabilisator von eisernen Wasserstagen der Hornbugspriete eiserner Großsegler.
Die Entwicklung eines einzelnen Takelungskomponenten, wie der Stampfstock, vom einfachen Eschenstab bis zum Stabilisator einer starren, eisernen Wasserstagsverbindung innerhalb eines Jahrhunderts, laßt die enormen Veränderungen erkennen, denen das Segelschiff in dem Jahrhundert seiner letzten Blüte unterworfen war. Nicht nur wurden die „wooden Walls“ der napoleonischen Zeit durch den Compositbau und bald darauf durch Eisen und Stahl abgelöst, in der Takelung mischte sich traditioneller Hanf mit dem Gebrauch von Ketten, und auch dort wich in vielen Fällen das geschmeidige Hanftau dem etwas starreren, aber haltbareren Stahldraht. Die rauchenden Schlote des Dampfschiffes verdrängten die windgefüllten Segel der kleinen und großen Frachtschiffe und somit auch den Stampfstock. Heute lebt die lange Epoche des Segelschiffes nur noch in den Herzen der Liebhaber dieser Fahrzeuge.
Literatur:
(1) Mondfeld, W. zu, Historische Schiffsmodelle, München 1978, Seite 45
(2) Ebd., Seite 297 und Curti, O., Schiffsmodellbau, Bielefeld 1975, Seite 304
(3) Steel, D., Elements of Mastmaking, Sailmaking and Rigging, London 1794, Nachdruck New York 1932, Seite 124
(4) Paris, E., Souvenirs de Marine, Vol. 2, Tafel 75, 76, Paris 1884
(5) Lever, D., The Young Sea Officer’s Sheet Anchor 1811/1819. Nachdruck New York 1963, Seite 60
(6) Foster Smith, Ph. Ch., The Artful Roux, Salem Mass. 1978, Seite 14, 15, 16. 22, 24, 26, Antoine Roux: Unbekannte amerikanische Fregatte entert einen französischen Hafen ca. 1805, LA TACTIQUE (französische bewaffnete Brigg) 1807 und COMMERCE DE PARIS (französisches Linienschiff) 1809, CADMUS (amerikanisches Schiff), 1806, HUSSEYNNIE (Fregatte des Bei von Tunis) 1821, HERSCHEL (amerikanische Schnau) 1823
(7) Chapelle, H. I., The History Of The American Sailing Navy, New York 1949, Seiten 200 und 201