Tanksegler Andromeda

Tanksegler „Andromeda“

Zuerst veröffentlicht in:
MECHANIKUS, München 1962.
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PDF/HTML/EPUB-Umsetzung: Bodo van Laak

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Abb. 1

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Im vergangenen Jahr feierte die Tankschiffahrt ihren 75. Geburtstag. Den eigentlichen Beginn der Petroleumfahrt wird man allerdings mit einem früheren Datum ansetzen müssen; er dürfte etwa in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelegen haben.

1886 begann aber die deutsche Tankschiffahrt „majoren“ zu werden; die Petroleum-Frachtsegler erreichten zu dieser Zeit einen ersten Höhepunkt technischer Vollkommenheit, und mit der Indienststellung des Tankdampfers „Glück auf“ setzte schließlich gar jene stürmische Aufwärtsentwicklung ein, die gestern noch den Supertanker als größte Frachtschifform hervorgebracht hat und in der heute, nach neu gesetzten Maßstäben, der Mammuttanker schon längst zu den alltäglichen Schiffstypen zählt. Den 4250cbm Öl der „Glück auf“ stehen jetzt die 106.190tdw (Tonnen-Tragfähigkeit) der „Universe Apollo“ gegenüber. Aber nicht diese Entwicklungsgeschichte soll hier behandelt werden; wir nehmen uns lieber ein Stück der „early Days“ dieses Schiffahrtszweiges vor.

In der Schiffahrtsgeschichte des 19. Jahrhunderts steht gleichwertig neben den Walfang-Fahrzeugen, den Auswandererschiffen, den Teeklippern und Salpeterschiffen der Petroleumklipper. Dieses Wort, das aus der Seemanns-Sprache kam und Allgemeingut wurde, bezeichnete alle die Schiffe, die ständig oder auch nur zeitweilig Petroleum fuhren. Man rechnete vor allem auch die hochgetakelten Schnellsegler der nordamerikanischen Ostküste, die „Down Easters“ und „Nova Skotchmen“ dazu. Der Grund, warum derartige Fahrzeuge verhältnismäßig häufig im Petroleum-Frachtdienst eingesetzt wurden, ist nicht so sehr darin zu suchen, daß sie besonders, oder mehr als andere Schiffe für diesen Verwendungszweck geeignet gewesen wären, hier kam vielmehr ein wirtschaftspolitischer Umstand ins Spiel. In den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nahm der transatlantische Frachtenmarkt eine recht ungünstige Entwicklung, so daß viele nordamerikanische und kanadische Schiffe auflagen. Als Gelegenheitskäufe angeboten, wurden sie in größerer Anzahl von deutschen, besonders Bremer, Bremerhavener und Geestemündener Reedern erworben.

Eine ungefährliche Ladung ist die Raffinade aus dem „flüssigen Gold“ der pennsylvanischen Ölquellen nicht gewesen, und manches Schiff fiel ihr zum Opfer. Gefährlich war das Be- und Entladen und unheimlich verlief die Fahrt. Petroleum verschiffte man in „Barrels“; das waren Holzfässer mit einem Fassungsver-

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mögen von etwa 180kg. Wie jede andere Ladung wurden diese Packgefäße in und aus dem Raum gehievt. Ging dabei eines der Fässer zu Bruch, dann bedurfte es nur eines einzigen Funkens und der Großbrand war entfacht. Brände dieser Art brachen bisweilen aus, solange das Schiff noch an der Pier lag; Feuer auf hoher See hatte auf jeden Fall die furchtbarsten Folgen.

Bei schlechtem Wetter lockerten sich mitunter die Stauhölzer und war einmal ein Barrel frei geworden, dann folgten ihm andere alsbald nach. Die Ladung kam ins Rollen, und zeigte das Schiff schließlich Schlagseite, dann konnte dem Vernichtungswerk der See meist nicht mehr viel entgegengesetzt werden. Allein dreißigmal heißt es in der Liste der deutschen Petroleumklipper „verschollen“, „gestrandet“ oder „gesunken“ und in 5 Fällen liest man den Vermerk „verbrannt“ oder „auf See explodiert“.

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Trotz der Verluste und ungeachtet der Gefahr nahmen die Seeleute nicht ungern auf einem Petroleumklipper ihre Heuer. Auch den ständigen Petroleumgeruch, der alles und jeden umgab, nahm man in Kauf; denn zu den Vorteilen dieser Anmusterung zählten die verhältnismäßig kurzen Reisen und die über dem Durchschnitt gute Verpflegung. Kartoffeln auf der ganzen Überfahrt und ausreichend Trinkwasser waren z.B. Annehmlichkeiten, die einem Seemann im 19. Jahrhundert das Herz im Leibe lachen ließen.

Die Reisen gingen für gewöhnlich nach Philadelphia (Pennsylvanien), Baltimore (Maryland) oder nach New York. Diese drei Häfen an der nordamerikanischen Ostküste teilten das Ölverschiffungsmonopol unter sich. Eine Reise nach Nordamerika und zurück dauerte damals etwa 55 bis 100 Tage. Im Vergleich zum Fahrplan anderer Segler, die für gewöhnlich auf Trampfahrt gingen und oft bis zu 2 Jahre fort waren, wurde dies geradezu als Blitzreise aufgefaßt.

Außer der Verladung in Barrels kannte man besonders bei den Fahrten nach Asien und Australien eine Verpackung in Kisten mit je 2 „Tins“ (Blechkanister). Mit dieser Art von Packgefäßen konnte die Standfestigkeit der Ladung verbessert werden und eigentlich ist es von der damit verwirklichten Konstruktionsidee nicht mehr weit bis zum fest eingebauten Tankbehälter.

Bei den Schiffen „Derby“ und „Adorna“, die noch große Trinkwassertanks von der Auswandererfahrt her besaßen, veranlaßte der Reeder W. A. Riedemann die ersten erfolgreichen Versuche mit fest eingebauten Transportgefäßen, und weil das Ergebnis erfolgversprechend aussah, ließ er ein weiteres Fahrzeug zum reinen Tanksegler umbauen. Zwar hatte man damals schon den ersten Tankdampfer der Welt, die „Zoroaster“ fertiggestellt und der Einbau von Tanks in ein Schiff war somit bekannt, daß sich die Tankschiffahrt schließlich durchsetzte, geht aber trotzdem auf die Initiative Riedemanns zurück.

Ermutigt durch den positiven Verlauf der Versuche mit „Derby“ und „Adorna“ kaufte er 1879 das 1864 in Liverpool gebaute und 1871 Registertons große Vollschiff „Andromeda“. Auf der Werft von Tecklenborg in Geestemünde ließ er es umbauen. 70 Tanks wurden eingebaut; eine Rohrleitung verband alle Behälter miteinander und erlaubte ein zentrales Be- und Entladen von einem Punkt aus. Schon ihrer Bauweise nach war die „Andromeda“ besonders für eine derartige Unterteilung des Laderaums geeignet, denn ihr Rumpf war ein sogenannter Kompositbau. Fahrzeuge dieser Art hatten eiserne Spanten, Wrangen und andere Verbände, auf welche die Holzbeplankung aufgebolzt wurde. Das metallische Stützgerippe im Inneren konnte zur Verankerung der Transportgefäße mit verwendet werden.

Das segelnde Tankschiff ist trotz aller Fortschrittlichkeit eine Rarität in der Schiffahrtsgeschichte. Es hatte keine Nachfolger mehr, weil der Petroleumkönig W. A. Riedemann unterdessen schon den Bau von Tankdampfern plante. 1885 wurde die „Glück auf“ in Newcastle auf Stapel gelegt und 1886 erfolgte die Indienststellung, die man heute als Geburtsdatum der deutschen Tankschiffahrt ansieht. Ein Segler war es aber gewesen, der Pate stand, als die Tankschiffahrt aus der Taufe gehoben wurde, und da dieser Segler so außergewöhnlich gewesen ist, soll er der Vergessenheit entrissen werden.

Nicht viel war es, was ich bei der Suche nach Bauunterlagen noch fand, immerhin reichten die nachgelassenen Dokumente aus, eine neue „Andromeda“ als Modell zu gestalten: Ein Ölbild von Oltmann Jarburg hängt im Heimatmuseum Vegesack (Abb. 1). Ein Foto des Originals gibt es in Fr. Spengemann, „Die Seeschiffe der hannoverschen Weserflotte“ und

Abb. 3-5: Das eine der beiden, vom Verfasser rekonstruierten Modelle des Tankseglers. Andromeda“ ist im Besitz der Esso A.G. Der Baumaßstab ist 1:100. Zur Ausgestaltung des Modells wurden mehrere hundert Plastik- und Metall-Kleinteile aus dem Sortiment der Firma Graupner verwendet.

Abb. 6—8: Auch das im Morgenstern Museum, Bremerhaven aufgestellte „Andromeda“-Modell M1:100 stammt vom Verfasser. Es unterscheidet sich in Einzelheiten vom Museumsmodell der Esso, weil in der Zeit zwischen den beiden Nachbauten einige zusätzliche Unterlagen bekannt geworden waren.

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die Abmessungen fanden sich in Lloyds Register of Shipping: Länge 207’6″, Breite 37’1″, Tiefe 23′. Schließlich gibt es noch ein weiteres Ölbild der ,,Andromeda“, das jedoch nicht mehr zeitgenössisch ist (Abb. 2). Es stammt aus dem Esso-Archiv, dürfte aber kaum ganz richtig sein, denn die „Andromeda“ fuhr keine Oberbramrahen.

Über den Verbleib des stolzen Seglers liegt ein Seeamtsbericht vor: „Gestrandet“ heißt es darin. Das Schicksal vieler Segler erfüllte sich auch hier. Mit Wasserballast in den Petroleumtanks lief das Schiff am 13.3.1888 aus dem Hafen von Geestemünde (Bremerhaven) mit Kurs New York aus. Nachdem bei gutem Wetter in der Nacht zum 14.3. das Leuchtfeuer Norderney-Süd passiert worden war, änderte sich gegen Abend des kommenden Tages das Wetter. Nebel und Schnee kamen auf und der Wind flaute so sehr ab, daß die „Andromeda“ nicht mehr steuerte. Bei der Übergabe der Wachen 0 bis 4 Uhr durch Kapitän Bünger an seinen Steuermann lief das Schiff tieferem Wasser zu. Am 15.3. früh, kurz nach 5 Uhr, stieß es plötzlich auf Grund. Eine starke Brandung war zu hören. Der Wind, der bislang völlig flau war, briste auf und die „Andromeda“ kam wieder frei. Aber nicht für lange, denn immer wieder gab es Grundberührung. Nachdem das Wasser schon 4 Fuß (ca. 1,2m) hoch im Raum stand, und das Schiff durch die dauernden Grundberührungen in Gefahr kam, daß die Masten brechen und Besatzungsmitglieder erschlagen würden, beorderte der Kapitän seine Mannschaft in die Boote. Er selbst und zwei Mann blieben an Bord.

Am Vormittag trat dann das Befürchtete ein; die Masten brachen und zerschlugen die Reling und alle Aufbauten an Deck. Vom fallenden Kreuzmast wurde Kapitän Bünger schwer verletzt. Ein englisches Rettungsboot brachte gegen Abend den Kapitän und die beiden an Bord verbliebenen Männer an Land. Von den drei Booten der Besatzung wurde eines von einem englischen Fischerboot aufgenommen; die beiden anderen wurden von Dampfern nach Yarmouth eingebracht.

Sieben glückliche Reisen hatte das Schiff als Tanksegler hinter sich, die achte brachte das Verhängnis. Der Untergang der „Andromeda“ steht symbolisch für den Niedergang der Protroleum-Segelschiffahrt. Zwar wurden noch bis zum Anfang unseres Jahrhunderts die hölzernen Petroleumbarrels auf Seglern verladen, aber schon war eine neue Epoche angebrochen und der Tankdampfer trat als neuer Schiffstyp in den Kreis der jahrtausendealten Schiffahrtsgeschichte.

Modelle des Tankseglers „Andromeda“ befinden sich im Besitz des Morgenstern-Museums, Bremerhaven, und der Esso AG, Hamburg. Beide weichen in Einzelheiten ein wenig von einander ab, weil ich vor meinem zweiten Modellentwurf noch einige zusätzliche Unterlagen sammeln konnte.

Karlheinz Marquardt