WvH III – Das Modell und seine Identität

WAPEN von HAMBURG III
Das Modell und seine Identität

Zuerst veröffentlicht in:
MECHANIKUS, München 1963.
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An einem bevorzugten Platz im Museum für Hamburgische Geschichte steht seit 1951 ein altes Modell, von dem es heißt, es sei eine Nachbildung des hamburgischen Kriegsschiffs, das von 1722 bis 1737 den stolzen, traditionsreichen Namen „Wapen von Hamburg“ getragen hat. Das Schiff diente als Convoyer zum Schutze der hamburgischen Kauffahrer. Vor ihm gab es schon zwei andere Fregattschiffe gleichen Namens. Die „Wapen von Hamburg“ I wurde 1669 in Dienst gestellt und verbrannte 1683 auf der Reede von Cadiz. Drei Jahre später wurde die Fregatte „Wapen von Hamburg“ II gebaut, die bis 1719 als Begleitschiff nach dem Westen, nach England, Grönland und nach Archangelsk die nördlichen und östlichen Meere durchkreuzte, dann aber, als sich notwendig gewordene Reparaturen nicht mehr rentierten, aus dem Dienst gezogen und später verkauft wurde.

Das Modell, das nun seit über einem Jahrzehnt in dem Hamburger Museum ausgestellt ist, hat schon allerlei Aufsehen erregt. Presse und Wochenschau berichteten darüber, und zu guter Letzt wurde es sogar zum Erkennungszeichen des hamburgischen Fernsehsenders. Von Anfang an waren sich aber die Fachleute nicht ganz einig, ob das alte Modell wirklich das Convoyschiff „Wapen von Hamburg“ III darstellt. Immerhin betrachtete die Museumsleitung die Identität als nachgewiesen. Sie schloß sich damit der Meinung von H. Reincke und B. Schulze* an, die in der Broschüre „Das Hamburgische Convoyschiff ‚Wapen von Hamburg‘ “ eine dementsprechende These vertreten hatten. (Zuvor hatten R. C. Anderson und H. Reincke Ermittlungen angestellt, deren Ergebnisse R. C. Anderson in einem Aufsatz „The wappen von Hamburg“ zusammenfaßte).

Nachdem ich 1951 das Modell zum ersten Mal gesehen hatte, gehörte ich zu den Kritikern dieser Hypothese. Der Identifizierungsversuch erschien mir fragwürdig. Es waren zunächst nur Äußerlichkeiten, die mich zu meinen Zweifeln anregten. Zum ersten Mal legte ich sie schon 1951 in einem Brief an das Museum für Hamburgische Geschichte dar, dann 1953 in einem Schreiben an den englischen Schiffbauhistoriker R. C. Anderson und schließlich äußerte ich sie 1955 und 1956 nochmals in Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Hansa“. Die Dokumente, die uns über die „Wapen von Hamburg“ III erhalten geblieben sind (so die Bauzarter, die Taxe der Bestückung, die Musterrolle, das Inventarium und diverse Abhandlungen über Reisen des Schiffes) bestärkten mich in der Ansicht, das Modell stelle ein ganz anderes unbekanntes Schiff dar.

Woher kommt das Modell?

Der Erbauer des Modells ist unbekannt. Wann es entstand, ist ebenso ungewiß; man kann hierüber höchstens Vermutungen anstellen. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem es vom Hamburger Museum gekauft wurde, konnte man es in England besichtigen, und zwar im Londoner Museum der Royal Unites Service Institution. In einem alten Katalog des Museums fand man die Bezeichnung „Linienschiff der Hanseatischen Liga aus dem Jahre 1650“. Viel mehr weiß man nicht darüber.

Abb. 1 Das umstrittene Modell vor seiner letzten Renovierung im Jahr 1951

Abb. 1 Das umstrittene Modell vor seiner letzten Renovierung im Jahr 1951

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An das Londoner Museum kam es aus dem Besitz des Kapitäns der königlich britischen Flotte, Sir John Marshall. Woher Marshall das Modell hatte, läßt sich nicht nachweisen. Reincke und Schulze* behaupten in der schon erwähnten Broschüre, Marshall habe 1814 mit einer kleinen Seestreitmacht Hamburg eingeschlossen und allerlei Beute gemacht. Das Modell sei bei dieser Gelegenheit dem Hamburger Arsenal entnommen worden. Das ist allerdings nur eine Vermutung, die man anstellen kann, wenn man zuvor schon von der Identität des Modells überzeugt war.

Hauptsächlich waren es Äußerlichkeiten, die zur Gleichsetzung von Modell und Vorbild führten:

1. Im Spiegel des Modells befindet sich, flankiert von Löwen, ein Wappen, wie es üblicherweise von Kriegsschiffen geführt wurde. Dieses Wappen scheint nachträglich umgeschnitten worden zu sein und stellt seither das der hamburgischen Familie Tamm dar, an die das Convoyschiff 1737 verkauft wurde.

2. Auf dem Halbdeck des Modells stehen zwei Kompasse mit der Inschrift „HAMBRO 1691“. Wenn das alles ist, reicht es zur Beweisführung kaum aus. Zur Identifizierung benötigt man mehr Material; man muß das Modell mit Abbildungen und Dokumenten vergleichen, aus denen sichere Nachrichten über die Konstruktion des Vorbildes zu entnehmen sind. Ganz offensichtlich zog man solche Unterlagen zur Beweisführung nicht heran. Es gibt auch gar keine authentischen Abbildungen des Originals; stattdessen liegen aber von diesem Fahrzeug mehr Angaben über Form und Aussehen vor, als von jedem anderen deutschen Schiff jener Zeit.

Bevor ich das umstrittene Modell mit den dokumentarischen Angaben vergleiche, möchte ich es im Folgenden zunächst einmal so betrachten, als wäre es ein unbekanntes Objekt das historisch und geographisch eingeordnet werden soll.

Englisch beeinflußte Konstruktion

Verschiedene Eigenarten des Modellrumpfes lassen sich so deuten, daß das Vorbild von einem Schiffbaumeister stammt, der in der englischen Schiffbau-Tradition zu Hause war.

1. Das Rundgatt, also die runde Form des Hecks, wurde im englischen Schiffbau etwa seit 1650 gebräuchlich; im kontinentalen Schiffbau setzte es sich frühestens in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch. Das erste kontinentale Schiff mit einem Rundgatt war die holländische „Provintie Utrecht“, die 1728 von dem englischen Schiffbaumeister Thomas Davis gebaut wurde. Es wäre also nach dem zeitgenössischen Stand der Schiffbaukunst immerhin möglich gewesen, daß ein hambur-gisches Schiff mit einem Rundgatt ausgerüstet war; jedoch:

2. Die Spantform des Modells ist typisch englisch und unterscheidet sich deutlich von den Spantformen französischer und dänischer Schiffe, besonders aber auch von der Spantform, die einst der hamburgische Convoyer hatte. In diesem Zusammenhang sei auf Röding* Bd. 4 verwiesen, wo die Verschiedenartigkeit der Spantformen dargestellt ist.

3. Das Galion hat eine englische Form, läßt aber auch niederländische Einflüsse erkennen. Röding vergleicht die französische Galionsform mit der englischen und schreibt: „Letztere unterscheidet sich insonderheit von der ersteren darin, daß die unterste Regeling bis an den Drücker unter dem Krahnbalken verlängert wird und diese Verbindung oder diesen unter dem Drücker angebrachten Zierrath nennen die Engländer Eiking; auch stehen die Schließknien weiter voneinander und zwischen denselben sind die Klüsen gebohrt, welche nach französischer Bauart über denselben liegen. Die oberste Schließknie wird bei den Engländern auch bis hinten an den Kopf des Löwen (Anm. Galionsfigur) verlängert, und diese Verlängerung heißt Hairbracket. Die beiden an dem Vorsteven liegenden Klüshölzer reichen nach oben heraus, und zwischen denselben liegt das Bugspriet. Das herausragende Ende wird Bollard-timber oder Knight-head genannt. Statt eines Küssen vor den Klüsen gebrauchen die Engländer das Navel-wood, welches dicke an die Klüshölzer gespickerte Klötze sind, wodurch die Klüsgaten gebohrt sind.“

Beim Modell liegt das Navel-wood nicht zwischen den Schließknien, sondern darüber; so kannte man es bei fast allen niederländischen Schiffen des 18. Jahrhunderts. Hier handelt es sich vermutlich um eine Zwischenform, die einerseits mit der französischen Bauart (mit den Kissen unter den Klüsgaten) und andererseits mit der englischen Bauart verwandt ist. Auch F. Chapman* stellte diese Form dar. Sie ist bei verschiedenen nachweislich englischen Modellen der H. H. Rogers Collection in der USA Naval Academy in gleicher Weise zu finden. Den Übergang der obersten Regeling in einen Kopf bezeichnet Cannenburg* als niederländisches Detail. Er schreibt darüber in einem anderen Zusammenhang: „Nederlandsche herkomst ist echter waarschijnlijk, waarop ook de merkwaardige mannenkoppen kunnen wijzen, die de bovenste regelingen van het galjoen afsluiten…“

4. Die Stückpforten sind am Modell wie bei englischen Schiffen angeordnet. Krünitz* schreibt dazu: „Bei den Engländern findet man gewöhnlich in der vollen Lagen gleiche Anzahl von Kanonen und die dem Vorsteven am nächsten stehende Kanone in der untersten Lage; man findet auch wohl diese Pforte ohne Kanone, und man bringt nur dann eine hinein, wenn das Schiff nach vorn schießen soll, z. B. bei Jachten, wenn man dem Feind sehr nahe ist.“

5. Die Uberbreite der Berghölzer — am Modell

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Abb. 2 Rumpfseitenansicht des Modells, Vorderteil mit der Galionsfigur

Abb. 2 Rumpfseitenansicht des Modells, Vorderteil mit der Galionsfigur

sind sie mindestens doppelt so breit als normal — und die dadurch bedingte starke Schneidung der letzten Pforten in die Berghölzer werden von Krünitz* und Röding* übereinstimmend als englische Eigenart bezeichnet (s. a. Abb. 2 u. 3).

6. Auch die Form der Geschützraperten (Lafetten) am Modell deutet auf einen englisch orientierten Schiffbauer hin. Röding* verweist diese Form nach England.

7. Die halbrunden Aborte vor der Back können als englisches Detail gewertet werden. Ich verglich zahlreiche Modellbilder miteinander und stellte fest, daß nur Modelle englischer Vorbilder des 18. Jahrhunderts halbrund geformte Aborte haben, so z. B. die russischen Modelle im Schloß Eutin, ein englischer Dreidecker im Leningrader Marinemuseum, ein englisches Vorschiff (dargestellt in einem zeitgenössischen Stich) sowie zahlreiche Modelle der H. H. Rogers Collection in Annapolis, USA.

Nach dieser Betrachtung wird es ziemlich unwahrscheinlich, daß ein Modell mit einer solchen Anhäufung englischer Schiffbau-Eigenarten die Nachbildung eines deutschen Fre-gattschiffs des frühen 18. Jahrhunderts sein soll.

Wann entstand das Modell?

Ausgehend von unserer zuvor erläuterten Arbeitshypothese, wir hätten ein vollständig unbekanntes Modell vor uns, wollen wir nun den Versuch unternehmen, es zeitlich einzuordnen: Sehr schnell stoßen wir dabei auf Schwierigkeiten, vor allen Dingen, weil das Modell in seinem heutigen Zustand uneinheitlich wirkt. Offensichtlich sind anläßlich verschiedener Restaurierungen nachträgliche Abänderungen und Verfälschungen vorgenommen worden. Gerade die Takelung, die man gerne für die Zeitbestimmung heranziehen würde, läßt nur ganz wenige Rückschlüsse zu, weil man bei ihr, wie auch R. C. Anderson* (in der Broschüre von Reincke u. Schulze*) einräumt, mit Rekonstruktionsfehlern rechnen muß. Immerhin deutet ein Detail, das zur Erstausstattung des Modells gehört haben muß, darauf hin, daß das dargestellte Schiff wohl nicht in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebaut worden ist. Es sind das die Butlufs, Rundhölzer, die auf das Galion führen und die Halsen der Fock aufnehmen. Demnach muß die Takelung des Vorbilds ursprünglich eine Klüverbaum-Takelung gewesen sein. Nach Cannenburg* wurden Butlufs in der Zeit zwischen 1740 und 1750 eingeführt; hingegen sei der Wasserstag, für den im Modell Öffnungen vorhanden sind, schon etwa um 1700 zu finden gewesen. Nach Diderot* und d’Alembert* benützte man auf Handelsschiffen um 1751 Butlufs. Röding* schreibt: „Kauffahrer haben selten einen Butluf, und in Ermangelung dessen gebrauchen sie den Krahnbalken.“ Aus Chapmans* Werk geht hervor, daß um 1778 alle Fregatten mit Butlufs ausgerüstet waren.

Bei Schiffen, die man zeitlich einordnen will, untersucht man besonders sorgfältig die künstlerischen Details, weil für bestimmte Zeiten bestimmte Stilelemente typisch sind. Sehr aufschlußreich ist im allgemeinen der Spiegel; er war bei den alten Kauffahrern immer ein Schiffsteil, der zur äußeren Repräsentation diente und deshalb mit besonderer Pracht und Sorgfalt ausgestaltet wurde.

Der Spiegel des Modells (Abb. 4) paßt in keiner Weise in die Zeit um 1720, in welcher der Convoyer „Wapen von Hamburg“ III gebaut wurde. Ein Spiegel in der Art, wie er am Modell gestaltet ist, kann frühestens 1780 entstanden sein. Die kunstvollen Verzierungen sind nämlich klassizistisch, und somit der zweiten Jahrhunderthälfte zuzuordnen, während sich vom zeitgenössischen Rokoko keine

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Spur mehr findet. Die „Wapen von Hamburg“ III, die 1722 gebaut und schon 1737 vom Senat der Stadt Hamburg verkauft wurde, kann keinen klassizistischen Spiegel besessen haben. Besonders deutlich wird dies bei- der Betrachtung des unteren Galeriebandes. Beim Modell ist es glatt und nicht abgerundet; die Fenster sind rechteckig und durch Säulen klassischer Form unterbrochen — ein typisches Modeattribut des Klassizismus.

Die Verfälschungen

Das Vorbild des Modells muß ein Schiff gewesen sein, das in England oder in einem anderen Land, das Schiffe nach englischer Art zu bauen pflegte, entstanden ist. Es gibt starke Anzeichen dafür, daß das Vorbild in den Niederlanden gebaut oder geplant wurde. Da sind z. B. die beiden Löwen im Spiegel, die das umstrittene Wappen flankieren; sie passen nicht zu einem englischen Schiff. Englische Schiffe trugen Löwe und Einhorn als Wappentiere. Auch die Form des Spiegels zeigt niederländische Eigenart; manches an der Form scheint sogar ein Hinweis darauf zu sein, daß man es mit einem Schiff der Ostindischen Compagnie zu tun hat. Nach Cannenburg* soll im Spiegel der Schiffe der niederländischen Flotte meist die Wellenform des Hackbords sichtbar gewesen sein, wogegen sich die Spiegel der O. I. C. Schiffe durch eine abgerundete Hufeisenform auszeichneten; gerade dies ist aber die Form, die wir bei dem Modell wiederfinden. Außerdem seien, ebenfalls nach Cannenburg*, bei O. I. C. Schiffen fast ausnahmslos geschlossene Spiegel ohne offene Galerien gebräuchlich gewesen; auch das Modell hat keine offenen Galerien.

Wie das Vorbild tatsächlich ausgesehen haben mag, läßt sich heute nicht mehr einwandfrei feststellen, weil das Modell — wie schon erwähnt — in späterer Zeit verfälscht wurde. Bei der Restaurierung im Jahre 1951 hätte man eigentlich viel diesbezügliches Material finden müssen. Jetzt die Verfälschungen nachzuweisen, ist viel schwieriger. Man bekommt das Modell nur noch im Glaskasten des Museums zu sehen; außerdem stehen lediglich Photos und ungesicherte Rißzeichnungen zur Verfügung. Trotzdem gibt es noch einige auffallende Spuren.

Die Formen der Reling und der Kuhl weichen von denen ab, die im 18. Jahrhundert gebräuchlich waren: Die Reling ist geschlossen und die Kuhl überhöht — im 18. Jahrhundert konnte die Reling eigentlich nur offen und die Kuhlhöhe normal gewesen sein. Das übliche Maß der Bordwandhöhe in der Kuhl dürfte 5 Fuß betragen haben, das entsprechende, umgerechnete Maß des Modells ergibt 9 Fuß. Auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren solche Sonderformen nicht üblich. Es ist anzunehmen, daß es sich hier um eine spätere Zutat handelt.

Am Modell fällt auch der unharmonische Verlauf der geschlossenen Hüttenreling auf, die nach vorne höher wird. Spiegel und Taschen erscheinen mir im Verhältnis dazu etwas klein. Da aber Rumpf und Spiegel organisch zusammengehören, muß das Modell in dieser Hinsicht später abgeändert worden sein. Die Veränderung betrifft die gesamte Schiffsreling bis zur Back, einschließlich der Kuhl. Bei der letzten Restaurierung in Hamburg hätte man feststellen können, welche Teile nach Holzart und Stil zum Rumpf passen. Besonders verdächtig sind mir die geschnitzten Fische, durch welche die ungewöhnlich harten Übergänge der Relingsstufen offenbar gemildert werden sollen. Ich glaube nicht, daß die Fische von der selben Künstlerhand geschaffen worden sind, wie Spiegel und Galionsbildnis. Spiegel und Galion wirken in ihrer Ausarbeitung etwas dillettantisch; dagegen sind die Fische wohl von einem geschickten Holzbildhauer geschnitzt worden. Ich nehme an, daß die Fische erst 1846 bei der Restaurierung in Chattam Gard dem Modell beigefügt wurden. Man fragt sich dann natürlich nach dem Grund.

Das könnte durchaus so erklärt werden, daß der Restaurator ein Vorbild dafür hatte: Ich fand nämlich Abbildungen von Charnock*, die ähnliche Reling-Stufenübergänge (Fische, Löwen usw.) zeigten. Charnock* veröffentlichte sein Buch im Jahre 1800 und lies seiner Phantasie bei der Darstellung älterer Schiffe ziemlich viel freien Lauf. Solchen betonten, mit

Abb. 3 Rumpfseitenansicht des Modells, Heckteil

Abb. 3 Rumpfseitenansicht des Modells, Heckteil

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Tiergebilden geschmückten Überqängen begegnet man sonst nirgendwo; sie wären auch auf dem Schandeck von den Seeleuten als unpraktisch empfunden worden. Vermutlich wird man sie als willkürliche Eigenschöpfungen Charnocks aufzufassen haben.

Ich nehme an, daß der Restaurator von 1846 Charnocks Buch als Vorlage benützt hat. Es wäre dann erklärlich, warum damals auch noch andere einschneidende Veränderungen vorgenommen wurden. Bei Charnocks Schiffsdarstellungen findet man öfters die geschlossenen Relings, wie sie das Modell hat. Außerdem haben Charnocks Zweidecker gelegentlich runde Geschützpforten auf der Hütte; das Modell läßt an dieser Stelle ebenfalls runde Geschützpforten erkennen.

Dazu kommt, daß das Modell, das, seinem Rumpf nach, die Nachbildung eines holländischen Schiffes sein könnte, Geschützraperten rein englischer Bauart trägt. Wahrscheinlich wurde das Modell erst 1846 mit diesen Kanonen ausgerüstet. Außerdem stimmt die Zahl der Geschützpforten nicht mit den Ausmaßen des Schiffes überein. Den Maßen nach wäre das Vorbild ein 58—60 Kanonenschiff gewesen, das Modell hat aber 12 Pforten zuviel. Pforten auf der Hütte und auf der Back waren bei einem Schiff dieser Größe nicht üblich.

Die Kompasse mit der Inschrift „Hambro 1691“, die als Beweismittel für die Identität des Modells mit der „Wapen von Hamburg“ III angeführt wurden, sind lose Bestandteile des Modells; sie können ihren Standort irgendwann einmal auf einem ganz anderen Modell gehabt haben. Man kann beim besten Willen nicht annehmen, daß der Modellbauer den Kompassen eine Inschrift gab, die auf den Kompassen des Vorbildes höchstwahrscheinlich nicht zu lesen war. Man müßte sonst annehmen, beim Bau des Convoyers im Jahre 1722 seien Kompasse eines noch älteren Schiffes übernommen worden. Das ist durchaus im Bereich der Möglichkeit. Ich halte es aber für sehr viel wahrscheinlicher, daß der Modellbauer der Einfachheit halber Kompasse eines anderen Modells verwendete, wobei er es unterließ, die alten Inschriften zu tilgen. Reincke und Schulze* sind übrigens der Meinung. die Kompasse seien englischer Herkunft.

Wie schon erwähnt, ist das Wappen im Spiegel des Modells das der hamburgischen Familie Tamm, der einstigen Eignerin des Convoyers „Wappen von Hamburg“ III. Es dürfte dies aber kaum das ursprüngliche Wappen des Modells gewesen sein. Ein anderes, älteres Wappen, das uns — wäre es noch vorhanden — Aufschluß über das tatsächliche Vorbild des Modells geben könnte, ist irgendwann einmal umgeschnitten worden. Beweisen läßt sich das nicht. Aber an dem Modell wurde in früheren Zeiten so viel geändert und verfälscht, daß man dem Wappen bei Identifizierungsversuchen keine Beweiskraft beimessen darf.

Der Convoyer „Wapen von Hamburg“ III

Nachdem wir das umstrittene Modell des Hamburger Museums betrachtet haben, bleibt noch darzustellen, wie der Convoyer „Wapen von Hamburg“ III ungefähr ausgesehen haben mag (s. unsere Zeichnung, welche nach den überlieferten Baurichtlinien rekonstruiert wurde). Mit diesem hamburgischen Schiff hat das in Hamburg ausgestellte Modell zweifellos nur wenig gemeinsam.

1. Das Rundgatt

Der Convoyer hatte — wie das Modell — ein Rundgatt. Das geht aus der Bauzerter hervor, die „Zarter von ein Fregatt Schiff mit ein gewrungen Spiegel…“ tituliert ist. Außerdem ist bei Röding* folgendes zu lesen: „Spiegel eines Schiffes heißt eigentlich blos das Stück, welches die Randsomhölzer und der Heckbalken begränzen auch rechnet man die Hintergilling mit dazu. Den Teil über dem Heckbalken bis zum Hackbord, nennt man eigentlich das Heck.“ Wenn der Convoyer, der um 1720 gebaut wurde, ein derartiges Rundgatt hatte, so steht uns damit ein sehr aufschlußreiches Datum zur Verfügung. Etwa 10 Jahre vor der Einführung des Rundgatts in den Niederlanden ist diese ursprünglich englische Bauform in Hamburg nachweisbar.

2. Spantform für flachgehende Schiffe

Die „Wapen von Hamburg“ III hatte eine speziell für flachgehende Schiffe gedachte Spantform mit extrem langem Lieger. (Demgegenüber hat das Modell eine ganz gewöhnliche Spantform englischer Bauart). Die Bauzerter gibt für den Convoyer eine Weite „…auf seinen Balken…“ von 43 Hamburgischen Fuß an, was 40’6″ englischer Maßeinheit entspricht. Andere Schiffe durchschnittlicher Bauart und entsprechender Größe (mit 12 Kanonen zu 18 Pfund in der untersten Lage) hatten damals eine Weite von 37’6″ (engl. Fuß).

Die Spantform des Convoyers ist von der Bauzerter in allen Einzelheiten festgelegt:„…daß das liegende Flack bis an die unterste Kant des ersten Knieplanken, 30 Fuß, von da bis an die obersten Kimmen 36 Fuß, von da bis an die untersten Decksbalken 43 Fuß, von die untersten Decksbalken bis auf die Hälfte des Breitenganges 39 Fuß, von bis an die obersten Decksbalken 35 Fuß weit binnen seiner butersten Haut, und von da bis ganz nach oben zu 1½ a 1¾ Fuß auf jeder Seiten nach Verlauf wiederum ausgefallen…“ (Fuß bedeuten hier immer hamburgische Fuß).

Eine solche Spantform ist außerordentlich selten gewesen, ebenso selten wie eine extrem flach gebaute Fregatte. Normal war beim Lieger eine Weite von 0,5, oder 6 bis 8″ weniger. Das Modell läßt die normale Spantform erkennen, also die mit einer sehr gerundeten Kimm. Der Convoyer hatte dem-

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gegenüber im Hauptspant einen Lieger von 0,7 Weite, und für die Kimm und die Ausbuchtung betrug die Weite nur 0,3 (normal 0,5 — 0,53). Die Form des Convoyer-Haupt-spants kann man etwa so beschreiben: Der Boden war sehr flach und die Kimm nicht sehr gerundet; die Ausbuchtung muß bis zum untersten Deck steiler als gewöhnlich gewesen sein, aber die Bord wurde bis zum oberen Deck sehr stark eingeholt; bis zum Schandeck fällt sie um nahezu die Hälfte der Einschnürung wieder aus.

3. Die schmalen Berghölzer

Die in der Bauzerter vorgeschriebene Bergholzform weicht erheblich von der beim Modell verwendeten englischen Form ab; es handelt sich dabei wohl um die ältere kontinentale Bergholzform. Im einzelnen gibt die Bauzerter folgende Anweisungen: «Das unterste Barchholz 10 1/2 Zoll dick, 17 a 18 Zoll breit. Das zweite Barchholz 9 1/2 Zoll dick, 16 Zoll breit und müssen also liegen, daß die Stückpoorten nicht darankommen. Die Füllung zwischen die Barchholzer mit die Barchholzer gleich. Die Füllung stellt also eine normale Planke dar, deren Breite mit der eines Bergholzes übereinstimmen soll. Es ist möglich, daß man stellenweise eine volle Ausfüllung vorgesehen hatte, wie sie von Cannenburg* für die Zeit von 1720 — 1730 als gebräuchlich vermerkt wird.

4. Die Bestückung

Für die hamburgische Fregatte war, den Stückpforten nach, eine übliche Bestückung vorgesehen, die aus zwei vollen Lagen und aus Geschützen auf dem Halbdeck bestehen konnte. Die Stückpforten durften, wie die Bauzerter vorschreibt, nicht in die Berghölzer eingeschnitten werden: „Zwei lang Poorten wie auch auf das halbe Deck und in das hinter Schiff von solcher Größe als die verlangt werden, auch daß keiner von selbige die Barchholzer berühren, wie oben bei Barchholzer schon erwähnet.“ Von einzubauenden Stückpforten auf der Back und auf der Hütte, wo das Modell Pforten hat, ist nicht die Rede. Solche Geschütze waren bei einem Schiff dieser Größenordnung nicht gebräuchlich und wurden deshalb auch nicht in der Bauzerter gefordert.

Die Anzahl der Pforten in den vollen Lagen kann nicht aus der Bauzerter entnommen werden. Es gibt aber eine Möglichkeit, aus der bekannten Schiffslänge die Zahl der Pforten zu berechnen. Die Schiffslänge wird in der Bauzerter mit „über Staben“ 150 hamburgischen Fuß angegeben. Bei Krünitz* ist zu lesen: „Ein Schiff von 62 Kanonen war lang 140 (englische) Fuß“. Der Convoyer hatte umgerechnet eine Länge von 141 englischen Fuß. Da eine normale Bestückung für das Hamburger Schiff gefordert ist, darf angenommen werden, daß es für 60 Kanonen ausgelegt war. Die Pforten für die Kanonen dürften wie folgt angeordnet gewesen sein:

  • 12 Pforten pro Seite für 18-Pfünder in der untersten Lage
  • 13 Pforten pro Seite für 12-Pfünder in der oberen Lage
  • 4—5 Pforten pro Seite für 4-Pfünder im Halbdeck.

Da die Pforten übliche Maße erhalten sollten, uns aber die damals üblichen Maße noch heute bekannt sind, können wir versuchen, aus der Anzahl der Pforten die Länge des Convoyers zu berechnen:

12 Pfortenweiten für 18-Pfünder je 2’8″ 32′
11 Zwischenräume je 7’2″ 78′ 2″
Entfernung der hinteren Pforte vom Achtersteven = 1 1/2 Zwischenräume 10′ 9″
Entfernung der vorderen Pforte vom Vorsteven = 2 1/2 Zwischenräume 16′ 2″
Breite des Vorstevens vor der Sponung 1′ 1″
Breite des Achterstevens hinter der Sponung 10″
Länge des Schiffes zwischen den Steven 141′

Dann stimmt also die Probe; denn eine Länge von 141 (englischen) Fuß oder 150 hamburgischen Fuß forderte, wie wir festgestellt haben, die Bauzerter.

Interessante Einzelheiten kann man aus der Taxe der Bestückung und aus der Musterrolle entnehmen. Die tatsächliche Bestückung hinter den Pforten muß wesentlich schwächer gewesen sein, als ursprünglich vorgesehen war. Das würde gut zu der zeitgenössischen Notiz passen, „…daß solche Convoy Capitaine um die ½te sich stärker rühmen, als

Abb. 4 Heckansicht mit dem klassizistischen Spiegel. — Die Photos 2 — 4 wurden während der Renovierung des Modells, im Jahr 1951, aufgenommen.

Abb. 4 Heckansicht mit dem klassizistischen Spiegel. — Die Photos 2 — 4 wurden während der Renovierung des Modells, im Jahr 1951, aufgenommen.

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in der Tat beschaffen…“ (s. E. Baasch*). In Übereinstimmung mit der Taxliste ist dieser Satz durchaus als Hinweis auf eine vom Normalzustand abweichende Minderbestückung zu verstehen. Nichts deutet darauf hin, daß man den Schiffen durch Einbau einer Überzahl an Geschützpforten den Anschein einer schweren Bewaffnung verliehen hätte.

Der Taxliste nach führte der Convoyer in der unteren Lage 6 Stück 18-Pfünder und 16 Stück 12-Pfünder, in der zweiten Lage 26 Stück 8-Pfünder und auf dem Halbdeck 4 Stück 3-Pfünder. Eigentlich hätte das Schiff in der unteren Lage 22 Stück 18-Pfünder und 4 kleinere Kaliber oder 26 Stück 18-Pfünder, in der zweiten Lage 26 Stück 12-Pfünder und auf dem Halbdeck 8 Stück 4-Pfünder führen müssen. Der Convoyer hatte also wegen der unverhältnismäßig leichten Geschütze eine bedeutend geringere Schuß-Reichweite, als man ihm äußerlich hätte zutrauen mögen.

Leichtere Geschütze sind einfacher zu bedienen; man konnte also, wenn man leichtere Geschütze aufstellte, Personal einsparen. Auf der „Wapen von Hamburg“ hat man aber noch darüber hinaus gespart. Das geht aus der Musterrolle hervor, die für das Jahr 1724 eine Besatzung von 160 Mann, für das Jahr 1727 eine von 283 Mann angibt. Wie stark die normale Kampfbesatzung des Schiffes hätte sein müssen, kann man nach der Bestückungsliste berechnen, d. h. nach Größe und Anzahl der Kanonen. Für die „Wapen von Hamburg“ sieht die Berechnung wie folgt aus:

6 x 9 Mann für die 18-Pfünder 54 Mann
16 x 8 Mann für die 12-Pfünder 128 Mann
26 x 7 Mann für die 8-Pfünder 182 Mann
4 x 3 Mann für die 8-Pfünder 12 Mann
Insgesamt: 376 Mann

Es befanden sich immer weniger Menschen an Bord, als man in einem Gefecht zur ordnungsgemäßen Bedienung der Geschütze benötigt hätte. Dabei waren ja, wie wir oben gesehen haben, die Geschütze selbst schon schwächer als üblich. Die abschreckende Wirkung eines solchen Convoyers, der Handelsschiffe vor Piraten zu schützen hatte, beruhte also lediglich auf Äußerlichkeiten; die Gefechtsstärke entsprach nicht der Schiffsgröße. Vergleichsweise sei hier nur erwähnt, daß gleichgroße Kriegsschiffe eine Besatzung von 450 bis 500 Mann hatten.

5. Die Heckgalerien

In den Schlußabschnitten der Bauzerter ist zu lesen: „…Noch ist der Zimmer Mann gehalten zu liefern alles Holz, es sei inwendig oder auswendig, an Eichen oder Führen, zum Bildwerk, Galion und Gallereyen, auch solches zu befestigen, wie gebräuchlich usw.“

Wie sah nun die gebräuchliche Form der Galerien aus? Röding* schreibt: „Ein drey bis vier Fuß hervorspringender Balkon, der hinten am Schiff zur Zierde und zur Bequemlichkeit angebracht ist. Man geht aus der oberen Kajüte durch eine Thür in die Gallerie. Schiffe unter 60 Kanonen haben selten eine Gallerie. Dreidecker haben hinten zwey Gallerien. An beyden Seiten des Schiffes befinden sich noch die Seitengallerien welche in einer Flur mit der obern Kajüte liegen, und an die Hinter-Gallerie stoßen. Unter jeder von diesen Seitengallerien sind noch Abtheilungen mit Fenstern, in welche man durch Thüren aus der untern Kajüte geht. Diese Plätze dienen den Officieren zum Abtritt und es sind dazu Sitze eingerichtet…“ Es ist also wahrscheinlich, daß die „Wapen von Hamburg“ III nach den Anweisungen der Bauzerter „wie gebräuchlich“ mit einer offenen Galerie rund um die Halbdeckskajüte ausgestattet war. Das Modell hingegen hat keine offene Galerie.

Der Convoyer war nicht irgendein Schiff, sondern das große Schiff des Hamburgischen Senats schlechthin. Man wird also großen Wert auf eine repräsentative Ausgestaltung gelegt haben. Und dazu gehörte auch der Bau einer Galerie.

6. Die Ausfutterung für den Anker

Die Bauzerter gibt die Anweisung: „…ferner auf dem Boog, da die Ankers auf und nieder gehen, auszufuttern…“ Unter einer solchen Ausfutterung verstand man breite Hölzer, die vom unteren Bergholz bis zum Fockrüst reichten und ein besseres Aufholen und Fallenlassen der Anker ermöglichen sollten; das Modell besitzt keine Ausfutterung.

7. Die Fockgräting

Im Gegensatz zum Modell hatte die „Wapen von Hamburg“ eine Fockgräting.

8. Der Glockengalgen

Im Inventarium für den Convoyer wird u. a. eine „…große Klock auf die Back…“ vermerkt. Auf der Back muß sich also ein Glockengalgen befunden haben. Am Modell sind keine Anzeichen dafür zu finden, daß es jemals einen Glockengalgen besaß.

9. Die doppelte Beplankung des Unterwasserschiffs

Für die „Wapen von Hamburg“ muß eine doppelte Beplankung des Unterwasserschiffs angenommen werden. In der Bauzerter wird die Beplankung unter dem Kapitel „das Ausboyent“ festgelegt; besonders hervorgehoben wird dabei die Verstärkung der Kimmplanken. Im Abschnitt „Haut“ ist darüber hinaus eine Fichtenbeplankung von 2″ vom Kiel bis zum Bergholz vorgeschrieben. Vermutlich wurde das Unterwasserschiff besonders robust gebaut, um es für Convoyfahrten ins Eismeer, z. B. nach Archangelsk, widerstandsfähiger zu machen. Da eine doppelte Beplankung des Unterwasserschiffs an den unterschiedlichen Maßen von Unter- und Oberkante des Bergholzes erkennbar sein müßte, kann man annehmen, daß das Modell nur eine Normalbeplankung besitzt.

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Zusammenfassung

Aus den vorstehenden Erörterungen wird deutlich, daß es sich bei dem Convoyer, „Wapen von Hamburg“ III und dem Vorbild des in Hamburg ausgestellten Modells um zwei verschiedene Fahrzeuge gehandelt haben mag.

Abschließend seien die Hauptunterscheidungs-Merkmale nochmals zusammengefaßt:

Länge und Breite des Convoyers stimmen ungefähr mit den entsprechenden Maßen des Modellvorbilds überein. Es handelt sich also um zwei etwa gleichgroße Schiffe. Dagegen ergaben sich für die Spanttormen bemerkenswerte Unterschiede. Das Modell hat eine normale Spantform, der Hauptspant des Convoyers ist außergewöhnlich:

Hol des Modells: 0,48 Breite
Hol des Convoyers: 0,36 Breite
Liegerwert des Modells: 0,47 — 0,50 Breite
Liegerwert des Convoyers: 0,7 Breite

Die „Wapen von Hamburg“ hatte doppelte Berghölzer mit dazwischenliegender Füllung, und die Stückpforten berührten die Berghölzer nicht. Das Modell besitzt überbreite Berghölzer englischer Art, in die die letzten vier Pforten eingeschnitten sind.

Der Convoyer hatte eine offene Galerie. Beim Modell gibt es keine Galerie. Ein Schiff mit einem klassizistischen Spiegel, wie ihn das Modell besitzt, kann frühestens um 1780 entstanden sein. Das hamburgische Geleitschiff hatte einen Barock- oder Rokoko-Spiegel.

Der Convoyer war am Bug mit einer Austutterung für die Anker ausgerüstet. Am Modell ist eine solche Einrichtung nicht zu finden.

Die Fregatte hatte im Gegensatz zum Modell, eine Fockgräting und einen Glockengalgen.

Eine doppelte Beplankung, wie sie die „Wapen von Hamburg“ hatte, ist am Modell nicht feststellbar. Im Restaurierungsbericht von 1951 wurde sie nicht erwähnt.

Hinzu kommen noch erhebliche Unterschiede in der Art der Bestückung und der Anordnung der Geschützpforten.

Das Modell ist sicherlich eines der größten Modelle des 18. Jahrhunderts. Nach allem wird man aber nicht umhin können, die bisherige Museumsbezeichnung, die ihm so viel Berühmtheit eingebracht hat, zu korrigieren. Es gibt kein Modell des Fregattschiffs „Wapen von Hamburg“ III. Das Museumsmodell ist eine durch Restaurierungen verfälschte Nachbildung eines unbekannten Schiffes unbekannter Nationalität. Als geschichtliches Dokument hamburgischer Schiffsbaukunst um 1720 ist es ohne jeden Wert.

K. -H. Marquardt
Photos: 2—4 Fr. Jorberg

Anm. d. Red.: Fern liegt uns die Absicht, den vom Autor vertretenen Thesen jetzt am Schluß zu widersprechen. Er hat dafür zu schlagend argumentiert, und dafür ist auch das von ihm gesammelte Material zu beweiskräftig. Nur die Begeisterung, die im Schlußabsatz zum Ausdruck kommt, glauben wir ein wenig dämpfen zu müssen, auch wenn sie uns im gegebenen Fall verständlich erscheint. Wir hoffen nämlich im Sinn des Autors zu handeln, wenn wir hier noch einmal präzisieren: über die hamburgische Schiffbaukunst des 18. Jahrhunderts besagt das Modell wahrscheinlich nichts oder jedenfalls nicht viel: trotzdem ist es auch im Zustand der vollständigen Anonymität ein seltenes Kunstwerk, das in deutschen Museen seinesgleichen sucht.

* Literaturverzeichnis:

R. C. Anderson, „The wappen von Hamburg&#8220, Mariners Mirror, Bd. 34, Heft 3

E. Baasch, Hamburgs Convoyschiffahrt und Convoywesen, 1896

W. V. Cannenburg, Besdirijvende Catalogus der Scheepsmodellen en Scheepsbouwkundige Teekeningen 1600—1940, 1943

F. H. Chapman, Architecture Navalis Mercatoria, 1768

Charnock, An history of marine architecture, 1800

D. M. Didérot und J. L. M. d’Alembert, Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonnée des Science, des Arts et des Métiers, 1751

Dr. J. G. Krünitz, Technologisch ökonomische Encyclopädie Bd. 143, 1826

Kh. Marquardt, „Wapen von Hamburg III“ — ja oder nein?, Hansa 1955, S. 1184/1185 und 1956, S. 591/592

H. Reincke und B. Schulze, Das Hamburgische Con-voyschiff „Wapen von Hamburg“

J. H. Röding, Allgemeines Wörterbuch der Marine, Bd. 1—4, 1794

M. Vocino, La Nave nel Tempo, 1942