7 x 10 Jahre
Zuerst veröffentlicht in: MECHANIKUS, München 1964. |
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Einer der Senioren des Schiffsmodellbaus beging in den letzten Tagen des März seinen 70. Geburtstag. Karl Marquardt sen. fühlte sich der Schiffahrt Zeit seines Lebens verbunden, und auch nach seinem Jubiläum hat er nicht die Absicht, es hinfort anders zu halten.
Karl Marquardt stammt aus einer Schiffer-Familie. 1910 begann er seine Berufstätigkeit als Schiffsjunge und befuhr zunächst die Weichsel, die Warthe und die Netze. Sein Interesse für die Dinge des Schiffsmodellbaus scheint schon früh geweckt worden zu sein. Er erzählt manchmal von einer Schaufensterscheibe, an der er sich als Junge immer wieder die Nase plattdrückte, weil hinter ihr das Modell einer Bark ausgestellt war. Vor diesem fremden Modell des besegelten Hochseeschiffs entdeckte er sein eigenes technisches Talent, und dort regten sich auch die ersten Wünsche zur spielerischen Entfaltung seiner künstlerischen Gaben. Es dauerte nicht mehr lange, bis er selbstgebaute Schiffsmodelle besaß, und als sie einer mehr kritischen Betrachtung unterzogen wurden, begriff der junge Binnenschiffer, daß er am Anfang eines erregenden Experiments stand:
Des Schiff war ihm als Arbeitsgerät und als Nutzfahrzeug längst vertraut; nun aber wollte er wissen, ob er auch die Fähigkeit habe, ihm mit künstlerischen Mitteln beizukommen. An den Vorbildern, die er täglich vor Augen hatte, versuchte er sich immer wieder aufs neue und bekam dabei allmählich auch Pinsel und Farbe in den Griff. Niemand hat ihm jemals gesagt, wie man so etwas macht; er fing einfach an. Ob er später zeichnete, malte oder baute, immer hielt er sich an das Motiv, das ihm seit den frühesten Jugendjahren am nächsten lag — das Schiff in seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen.
Es kann wohl sein, daß der junge Autodidakt anfangs noch von einer Romantik der großen Seefahrt träumte; jedenfalls sollte er sehr schnell Gelegenheit erhalten, genug Salzwasser zu schmecken. Auf einem Torpedoboot der kaiserlichen Marine fuhr er während des 1. Weltkrieges, und später verdingte er sich als Bootsmann auf Hochseejachten. Die See wurde ihm vertraut; er erlebte sie bei jedem Wetter, und wo er konnte, ergriff er die Gelegenheit, sie zu studieren. Seither haben seine Bilder die unverwechselbare Atmosphäre. Man könnte die Tageszeit bestimmen, in welcher der Künstler sein Schiff gesehen haben will. Er brachte es dabei zu so viel Meisterschaft, daß man Seeluft zu atmen meint, wenn man lange genug vor einem seiner Bilder verweilt. In den Zwanziger Jahren wurde Karl Marquardt ein geschätzter Marinemaler und blieb doch, was er war; ein geachteter Schiffer.
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Am Ende dieser Zwanziger Jahre begann die Wirtschaftskrise, und die Zeiten wurden für Maler und Schiffer in gleicher Weise übel. Karl Marquardt erinnerte sich an seine frühere Modellbaupraxis und baute zunächst ein Modell der Bark „Undine“, das für das Focke-Museum in Bremen bestimmt war. In diesen spannungsreichen Jahren der Weimarer Republik gab es Leute, welche die erwerbslosen Arbeitnehmer millionenweise auf die Straße rufen wollten, während sich andere bemühten, sie einzeln von der Straße wegzuholen. Auf Initiative von Karl Marquardt wurde an der Magdeburger Kunstgewerbeschule eine besondere Klasse für Schiffsmodellbau eingerichtet.
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Arbeitslose Menschen, die schon im Begriff waren, ihrer gestalterischen und handwerklichen Fähigkeiten verlustig zu gehen, fanden dort eine Heimstatt und in ihr eine Aufgabe.
Unter der Anleitung von Karl Marquardt wurden dort einige Modelle von Elbeschiffen gebaut; sie gelangten später in das Magdeburger Museum. Auf die Magdeburger Zeit geht auch die enge Freundschaft zurück, die Karl Marquardt mit Robert Loef verband. Dieser
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sachkundige Verleger modellbautechnischer Literatur, der später weit über die Grenzen hinaus bekannt wurde und namhafte Fachleute an sich zog, hatte damals eben erst begonnen, seinem jungen Unternehmen Geltung zu verschaffen. Die sichere Gewißheit, in zahlreichen Fachfragen und auch in persönlichen Auffassungen herzlich übereinzustimmen, bewahrten sich beide, bis Loef 1959 starb.
Karl Marquardt hatte zu Beginn der Dreißiger Jahre die Stelle eines Hafenmeisters in Magdeburg angetreten. Seither waren unter seinen Händen einige Modelle und zahlreiche Seebilder entstanden. Sein Name, den bisher vor allem die Fachleute kannten, wurde in weiteren Kreisen genannt und die öffentlichen Ehrungen ließen nicht mehr auf sich warten. Er war Mitglied der damaligen Reichskunstkammer, als der 2. Weltkrieg begann.
Die erste Hälfte der Vierziger Jahre erlebte Karl Marquardt auf Vorpostendampfern, U-Bootjägern und Minensuchern. Je nach der augenblicklichen Situation trat er als Seemann oder als bildender Künstler in Erscheinung. Auch in der ersten Nachkriegszeit besann er sich nicht lange und fing wieder als einfacher Matrose an. Während einiger folgender Jahre führte er ein Binnentankschiff und ließ sich schließlich als Lotse in Oldenburg nieder. Zahlreich sind die Modelle der verschiedenen Binnenschiffstypen, die Karl Marquardt seither gebaut hat. Z. B. Modelle zur Geschichte der Rheinschiffahrt stehen in den Museen von Emmerich, Köln und Koblenz. Seine Bilder hängen in Galerien sowie in feinen und ärmlichen Stuben jeweils an einem guten Platz. Er könnte sich jetzt rechtschaffen zur Ruhe setzen; aber wem sagt man das?
Mit Leib und Seele fühlt sich Karl Marquardt auch heute noch als Binnenschiffer. Er der schon dabei war, als hölzerne Schiffe auf den Wasserstraßen gesegelt oder getreidelt wurden, hat im Laufe seines Lebens sämtliche Binnenschifferpatente erworben, die es in Deutschland gab. Den 70jährigen freut nichts so sehr, als wenn er hin und wieder den ehrenvollen Auftrag erhält, ein fremdes Schiff sicher hunte- oder weserabwärts nach Bremen oder Bremerhaven zu geleiten.
Im Rythmus der sieben Jahrzehnte wechselten zwar die Dominanten, es handelte sich aber bei Karl Marquardt immer nur um ein einziges Thema, das er in seinen persönlichen Variationen gestaltete. Im Rückblick könnte er jene Harmonie bald finden, die zu seiner Lebensmelodie paßt, aber er kommt vom Schiff nicht los. Er hat gute Ideen, die im Hinblick auf die Zukunft Gestalt annehmen; außerdem hat er eine Fülle hochinteressanter Projekte und – wenn er ein bißchen auf sich aufpasst – auch noch viel Zeit.
khm